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Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)

Titel: Urkundenfälschung: Journal 2000-2010 (German Edition)
Autoren: Paul Nizon , Wend Kässens
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einen »gigantischen Kommentar zum eher schmalen Gefilterten« charakterisiert. Er sei »kein Epiker und erst recht kein Chronist«, sondern »ein Verschweiger ,in der Intention ein Essenzdichter, das macht meine Vorgehensweise so vertrackt und zeitlich kostspielig«. Ein komplexes, anspruchsvolles literarisches Programm, das um die Identität Paul Nizons mit seinem schriftstellerischen Alter ego kreist. Derivière kennzeichnet die Entwicklung, nennt die erste Phase die »›Rimbaudzeit‹ Nizons« mit Canto (1963), Untertauchen (1972) und Stolz (1975), für die das Motto gelte »Das wahre Leben ist anderswo«. Es folgt, nach dem Umzug nach Paris, das Meisterwerk Das Jahr der Liebe , der »Gesang eines einsamkeitstrunkenen Menschen, der der Erlösungsmacht der Worte vertraut … aber jetzt vom Schmerzballast des frühen Nizon befreit«. Hier gelingt es, »das Leben (zu) schreiben«, das sich in Rom noch verweigert hat. Deshalb, wegen dieses in Paris gefundenen Ichs, das Ja sagt zum Leben, zur Liebe und zur Stadt, nennt auch Derivière Das Jahr der Liebe »das Buch einer Verwandlung … als Wendung hin zum ›Ganzen‹ des Lebens«. Er betont den musikalischen Charakter der Sprache und vergleicht dessen »jubilierenden Stil« der Bewegung mit einer Jazzpartitur. Derivière zitiert das Vorwort von Michel Contat zur französischen Ausgabe: » Das Jahr der Liebe ist nicht nur die Erzählung einer Bekehrung zum Schreiben, sondern die Bekehrung selbst … Ein sich schreibendes Leben, eine sich lebende Schrift.«
    Philippe Derivière ist bisher der einzige Publizist, der den Experimentcharakter des Nizonschen Werkes und des dazugehörigen Lebens in einem Buch auf den Punkt gebracht hat: Nizons Poetik sei nicht autobiografisch; sein Schreiben nehme von den Illusionen der Erinnerung, aber auch von der Durchschaubarkeit und behaupteten Wahrheit oder Aufrichtigkeit des Erzählers im Hinblick auf »das gelebte Leben« Abschied. » Das Jahr der Liebe ist das Werk Nizons, wo die Autofiktion sich als Zusammenschluß von Schreiben und Leben erfüllt. Und das aus gutem Grund: Das Schreiben (des Buches) wird zum Gegenstand des Buches. Das Thema des Buches ist der Erzähler, der schreibende Mensch . … Denn dieser Roman … ist das Buch eines Mannes, der sein Leben neu zu beginnen sucht und sich der Einsamkeit und dem Exil gegenübergestellt sieht. Aber diesmal ist dieser Mann einer, der schreibt, der seine Einsamkeit und sein Exil niederschreibt, während er sie erlebt .« Damit verbunden die Sprengung der Gattung des Romans und ein Abschied vom Genre in den folgenden Büchern Im Bauch des Wals , Hund und Das Auge des Kuriers . »Die einzige Gestalt des Werkes wird fortan der Dichter«, schreibt Derivière, »zugleich Gehender und Vagabund, dessen Umherziehen durch die Straßen von Paris in Hund und Das Auge des Kuriers beschrieben werden. Erfundene Figur im Begriff des Erfundenwerdens, mit der sich Nizon bis zur Verschmelzung identifiziert. Nochmals: Autofiktion.«
    Etwas anders verhält es sich mit dem 2005 erschienenen Roman Das Fell der Forelle . Frank Stolp, der traurige Held, ist kein Dichter, kein Mensch der Sprache, sondern ein Zirkusmensch, zumindest behauptet er, »Abkömmling einer Luftakrobatendynastie« zu sein. Deutlich ist die Fiktion dominierend, obwohl die Ausgangslage ähnlich ist wie im Jahr der Liebe . Stolp flieht aus einer zerstörten Ehe in die geerbte Tantenwohnung in Paris, um neu anzufangen – und landet in der Falle seiner Erschöpfung. Ohne Selbstbewußtsein ergeht er sich auf der Suche nach einem Fluchtpunkt des Verschwindens aus der spießigen Fremde, der engen, vollgestellten Wohnung in einem heruntergekommenen Stadtteil in alltäglichen Verrichtungen – mit dem Gefühl, hier nichts zu suchen zu haben, aber auch nicht zu wissen, wohin. Ein kolorierter Stich mit einer pelzgekleideten Dame im Schaufenster eines Kürschnergeschäfts und dem Titel »Das Fell der Forelle« geistert ihm durch den Kopf. Er ist ein Mann im Niedergang, ohne Ziel und Fähigkeit zur Selbsterfindung. Die Seiten des Buches, das er neu aufzuschlagen beabsichtigte, erweisen sich als leer, weil er selbst leer ist, ängstlich vor der Offenheit der Welt und aus welchen Gründen auch immer auf der Flucht vor sich selbst. Selbstmordgedanken und Mordphantasien treiben ihn um. Aber im Traum kann er fliegen. Irgendwann hat die Verrückung eingesetzt. Peu à peu verliert er buchstäblich den Boden unter den Füßen. Und hebt ab. In der
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