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Unterm Strich

Unterm Strich

Titel: Unterm Strich
Autoren: Peer Steinbrück
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Universitäten, Technologieparks und Tourismusangebote entwickelt sowie Claims der Rohstoffversorgung abgesteckt. Der Stellenwert von (Hoch-)Kultur und Entertainment ist längst erkannt, um die eigenen Standorte herauszuputzen. All das entfaltet magnetische Anziehung und verändert Strömungsverhältnisse, die über die letzten Jahrhunderte den europäisch-atlantischen Raum und die westliche Welt zu einer einzigartigen Wohlstandsregion emporsteigen ließen.
    Zwei Veränderungen haben diese Entwicklung in hohem Maße begünstigt. Zum einen die Überwindung von Raum- und Zeitgrenzen durch moderne Kommunikations- und Informationstechnologien, deren Potenziale offenbar immer noch nicht ausgeschöpft sind. Jedes Ereignis, jede Entscheidung, jede Information lässt sich in Echtzeit verbreiten und abrufen, Kauf und Verkauf werden auf Knopfdruck rund um die Uhr getätigt. Arbeit ist nicht mehr lokal gebunden, die Konkurrenz sitzt nicht mehr Tausende von Kilometern entfernt, sondern lauert direkt online im Computer.
    Zum anderen trägt ein international hochgradig vernetztes Finanzsystem dazu bei, jeden Interessenten rund um den Globus in Sekundengeschwindigkeit auf ein Objekt der Begierde zu lenken und sich im nächsten Moment wieder davon abzuwenden. Kaum eine Branche erweist sich als so phantasievoll bei der Erfindung immer neuer Produkte wie der Finanzmarktsektor; hinter gigantischen Summen verbirgt sich oft eine reale Wertschöpfung von nicht einmal einem einzigen Euro. Der exorbitante Kapitalbedarf klassischer Industrieländer - insbesondere der USA - trug erheblich zu den wachsenden Ungleichgewichten bei, die nicht nur eine ökonomische Sprengkraft bergen, sondern auch zu neuen politischen Abhängigkeiten führen können.

    Wir sollten uns darauf einstellen, dass sich sowohl das globale wirtschaftliche Koordinatensystem als auch das geopolitische Machtgefüge verschieben. In dieser Perspektive stellt sich die Frage, ob Europa in einer solchermaßen veränderten multipolaren Welt überhaupt noch in der höchsten Gewichtsklasse mithalten kann. Es ist keineswegs ausgemacht, dass wir unsere Position behaupten können, geschweige denn weiterhin zu den Gewinnern gehören. Würden wir jedoch aus dem Zentrum der globalen Dynamik verdrängt, hätte dies unausweichliche Folgen für unser Wohlstandsniveau - und damit auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
    Es ist ein offenes Geheimnis, dass asiatische Politiker in den USA von Europa als einer absteigenden, eines Tages zu vernachlässigenden Größe reden und anschließend auf den asiatischen Raum als zukünftiges Kraftzentrum verweisen. Amerikanische Gesprächspartner dementieren nicht, dass sie für solche Klänge empfänglich sind und ihre erste Aufmerksamkeit längst dem pazifischen Raum gilt. Zwar stimmen sie bei passender Gelegenheit gern das Hohe Lied der atlantischen Beziehungen und der Wertegemeinschaft an, der Text ist schließlich seit über 50 Jahren eingeübt und unvergesslich. Der Gedanke ist aber vielen auf die Stirn geschrieben, dass der wirtschaftliche und politische Fokus künftig auf der anderen Seite des Globus liegen wird.
    Nun ist aber auch der aus der Auflösung der bipolaren Welt 1989/90 hervorgegangenen singulären Vormachtstellung der USA keine historische Dauer beschieden. Die Weltmacht erodiert. Die enormen Defizite in der Leistungsbilanz, im Staatsbudget und auf den Privatkonten machen die USA in einem unverantwortlichen Maß von Kapitalimporten abhängig - und damit in ihren außenpolitischen Entscheidungen weniger souverän. Der militärische und moralische Verschleiß in neuen, sogenannten asymmetrischen Konflikten wie im Irak und in Afghanistan sowie die aufwendige Prävention gegen die Aufrüstung neuer Nuklearmächte überdehnen zunehmend die Ressourcen selbst der USA. Das Geld würde nötiger denn je für Gesundheit, Bildung, Umweltschutz und öffentliche Infrastruktur gebraucht. Das heißt, die USA unterliegen ähnlichen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen wie wir.
    Für das neue weltweite Koordinatensystem wird das Verhältnis zwischen den USA und China von entscheidender Bedeutung sein. Den USA wird man es nicht verdenken können, dass sie einen Szenenwechsel vornehmen und sich einem ihrer wichtigsten Kapitalgeber zuwenden, auch wenn sie mit dessen politischem System nichts gemeinsam haben und eine Reihe von konfliktbehafteten Themen sperrig im Raum steht. Die ökonomischen Abhängigkeiten und Interessen schlagen
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