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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage
Autoren: Thomas Ziegler
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Und in der letzten Zeit … gibt es Hinweise darauf, daß die Maschen des Netzes enger werden. Sie haben doch auch die Infos gehört! Dieses Öl … Es wird noch wochen- oder monatelang die Sicht nach unten behindern, und diese Zeit genügt, ein sicheres Versteck zu finden.«
    Flecht blinzelte verwirrt. »Das Öl ist nur ein Symptom, ein Zeichen für die Dreistigkeit, mit der man inzwischen unsere Proteste ignoriert. Und es war vorhersehbar. Im Endeffekt ist es billiger, einige Hunderttausend Tonnen ins Meer fließen zu lassen, als die teuren Sicherheitsanlagen einzubauen. Ich meine, darüber brauchen wir uns gar nicht zu wundern. Wer irgendwo in der Sonne einen Bungalow mit eingebauten Partymiezen stehen hat, der kümmert sich einen Dreck um die Nordsee oder den Rhein.«
    Shreiber hustete, um seine Verwirrung zu verbergen. Wovon redete Flecht?
    »Aber worauf ich hinauswollte … ich dachte vielmehr an Geld, an unser Geld.«
    »Geld?« echote Shreiber konsterniert. »Was hat denn …«
    »Es ist doch jedes Jahr das gleiche. Immer die gleichen Worte zur gleichen Zeit. Schlechte Ertragslage, schwierige Wirtschaftssituation, Krise, Maßhalten und so weiter. Und natürlich sollen wir wieder zurückstecken. Verdammt sollen sie sein.«
    Shreiber stieß ein heiseres, fast hysterisches Gelächter aus. »Geld«, keuchte er. »Verrückt, völlig verrückt. Mann, Flecht, kommen Sie zu sich!« Shreiber atmete heftig. Er spürte wieder die Hitze in seinem Gesicht und die Feuchtigkeit in den Achselhöhlen. »So begreifen Sie doch endlich«, zischte er. »Um uns fallen Entscheidungen von kosmischer Bedeutung und Sie reden von Geld, von irgendwelchen Villen. Flecht, er ist da, er ist Realität! Und sein Ziel heißt Zerstörung. Zerstörung, Tod, Untergang.« Shreiber zitterte vor Erregung.
    Flecht schluckte und sah ihn an.
    »Ist Ihnen denn gar nichts an der Meldung über die Ölpest in der Nordsee aufgefallen? Ist Ihnen denn überhaupt nichts aufgefallen?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Flecht.
    Shreiber rang die Hände. »Und es war so klar. So deutlich, so verräterisch. Man hält mich für dumm, man denkt, ich würde nichts verstehen, aber mir war sofort klar, worauf das alles hinauslaufen sollte.«
    »Hinauslaufen?« wiederholte Flecht.
    »Sie begreifen einfach nicht«, klagte Shreiber. Seine Hände umklammerten die Sessellehnen und er spürte, wie das Material unter dem Druck langsam nachgab und wie Gelee in die Ritzen zwischen seinen Fingern floß. »Ein Dutzende, Hunderte von Quadratkilometern großer, undurchsichtiger Ölfleck. Ein schwarzes Tuch – und darunter …«
    »Ja?« fragte Flecht.
    »Darunter? Sie Narr! Sie sind wie alle anderen. Blind für die Gefahr. Dort unten im Meer, im Schutz des Schirms aus Öl, und über uns, verborgen hinter den Wolken, da ist er. Schon seit langem, seit einigen Jahren, aber er tritt nun immer offener auf und die Zahl seiner Helfer wächst unaufhaltsam. Tausende gibt es schon in der Stadt, Tausende, die beobachten und Befehle ausführen, die morden … Und Sie sehen ihn nicht einmal!«
    »Wen sehe ich nicht?« stieß Flecht verärgert hervor. »Von wem sprechen Sie die ganze Zeit?«
    Shreiber sank zusammen. Der Schweiß auf seiner Stirn verdunstete und hinterließ trockene Kälte. »Ich spreche von ihm«, erwiderte er flüsternd. »Vom Feind. Er ist keine Person, die man greifen kann. Er ist eine gewaltige, körperlose Macht, eine unbeschreibbare Konzentration negativer Energien. Der Feind ist allgegenwärtig. In jeder Stunde, jeder Sekunde kann er zuschlagen. Er tastet sich näher. Schritt für Schritt. Er beobachtet. Sie. Mich. Alle. Der Feind sieht mit den Augen und hört mit den Ohren seiner menschlich wirkender Marionetten. Blattern gehört zu ihnen. Viele meiner Nachbarn arbeiten für den Feind. Täglich treffe ich seine Werkzeuge auf der Straße.« Shreiber holte tief Luft. »Verstehen Sie nun, Flecht? Der Feind lauert im Verborgenen, er ist raffiniert und unangreifbar. Und er versucht, jeden zu töten, der von seiner Existenz erfährt … Flecht! Begreifen Sie nun, in was für einer Lage ich mich befinde? Ich habe ihn entdeckt, Flecht. Ich weiß, daß er da ist. Und deshalb will mich der Feind vernichten, mich in seine Fallen locken, in beschädigte Fahrstühle, wie heute morgen, er will mich vergiften, er lauert mir auf …«
    Shreiber sank zurück, fiel dankbar in die weiche Rundung des Servosessels und wartete, bis sich das Donnern seines Pulsschlages gemäßigt
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