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Unter deinem Stern

Unter deinem Stern

Titel: Unter deinem Stern
Autoren: Victoria Connelly
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Sie kramte ihn aus ihrer Handtasche. Simon wartete, bis sie die Straße vor ihnen fotografiert hatte, dann lächelte er sie an, und plötzlich befand sie sich wieder in der Gegenwart.
    Claudie mochte solche Stadtspaziergänge ohne Zeitdruck. Sie genoss es, die kleinen Sehenswürdigkeiten abseits der touristischen Trampelpfade zu entdecken. Vielleicht kam das daher, dass sie schon so lange in Whitby wohnte – sie wusste, dass die schönsten Ecken der Orte meist ziemlich versteckt lagen.
    Sie schaute an den Häusern empor und versuchte sich vorzustellen, was für Menschen dort wohnten und wie ihr Leben aussah. Mochten sie die Touristen ebenso wie Claudie die Urlauber, die jeden Sommer in Whitby einfielen? Oder fühlten sie sich von den vielen Fremden mit ihren Fotoapparaten gestört?
    Am Ende der Straße kamen sie an einen kleinen Platz, von dem aus sie einen guten Blick auf die große weiße Kuppel von Sacré-Cœur hatten. Für einen Dom war das prächtige weiße Gebäude ziemlich ungewöhnlich. Es war eine schlankere Version seiner italienischen Vettern, fast, als hätte es eine Diät gemacht. Typisch Franzosen, dachte Claudie. Sie achteten immer auf ihre Linie.
    »Möchtest du da reingehen?«, fragte Simon.
    »Ja, gern«, erwiderte Claudie, die ihren Blick gar nicht abwenden konnte. »Nur –«
    »Nur was?«
    »Ich bin schon eine Ewigkeit nicht mehr in einer Kirche gewesen.«
    Simon nickte, als wüsste er genau, was sie meinte, ohne dass sie es ihm erklären musste.
    »Das ist ja eigentlich keine richtige Kirche, oder? Das ist Sacré-Cœur«, sagte er lächelnd.
    Claudie erwiderte sein Lächeln. »Du hast Recht. Gehen wir rein.«
     
    Claudie war sich nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber auf keinen Fall hatte sie mit dem überwältigend hellen Licht in dem weiten Kirchenraum gerechnet, das sie umfing. Es war unglaublich schön, und einen Augenblick lang kam sie sich vor, als bewegte sie sich in einer überdimensionalen Hochzeitstorte. Gleichzeitig überkam sie eine tiefe Traurigkeit. Warum nur? Warum vermittelte extreme Schönheit immer auch ein Gefühl von Traurigkeit?
    Sie schaute zu Simon hinüber, der den Mittelgang ein Stück hinaufschlenderte und sich in eine Bank setzte. Genau das hatte sie auch vorgehabt. Sie nahm neben ihm Platz und überließ sich ihren Eindrücken.
    Claudie versuchte an nichts zu denken und sich auf die Dinge um sie herum zu konzentrieren: das Klappern von Absätzen, das Quietschen von Sportschuhen, das Surren von Kameras und das Flüstern der Touristen. Sie schloss die Augen und lauschte auf all die Geräusche, fühlte, wie es war, wenn man sich ganz der Gegenwart hingab. Plötzlich, sie konnte nicht genau ausmachen, ob zu ihrer Rechten oder ihrer Linken, nieste jemand. Von woanders her war ein Rascheln zu hören – ein Rucksack vielleicht, oder ein Regenmantel? Dann ein leises Knarzen und eine Berührung an ihrem Fuß. Simon.
    Sie öffnete die Augen. Er schaute sie an. Wahrscheinlich dachte er, sie habe gebetet.
    »Ich –«, stammelte sie, als müsste sie ihr Verhalten erklären. »Ich würde gern eine Kerze anzünden, bevor wir gehen.«
    Simon nickte. »In Ordnung.«
    »Möchtest du hier warten?«
    Simons Augen weiteten sich, und er öffnete den Mund. »Könnten wir nicht zusammen eine Kerze anzünden?«
    Claudie spürte, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. Ich werde nicht weinen, ich werde nicht weinen, befahl sie sich.
    »Ich meine, wäre das okay für dich?«, fragte er.
    Das Klappern von Absätzen, das Quietschen von Sportschuhen, das Surren von Kameras. Die Kirche war von Geräuschen erfüllt, aber Claudie hörte nur Simons Worte.
    »Natürlich«, sagte sie, dann standen sie auf und gingen schweigend zu dem Ständer mit den Kerzen.

43
    Das Seltsame an Paris ist, dass es einem so unwirklich erscheint, dachte Claudie, als sie den Montmartre hinter sich ließen. Wahrscheinlich hatte sie einfach zu viele Hollywoodschnulzen gesehen, aber sie kam sich tatsächlich vor wie in einem Film, vor allem, als sie an der Seine entlanggingen. Sie hatte Gene Kelly und Leslie Caron in Ein Amerikaner in Paris ebenso wie Audrey Hepburn und Cary Grant in Charade direkt vor Augen, und sie musste sich selbst in den Arm kneifen, um sich daran zu erinnern, dass sie wirklich hier war und nicht zu Hause in ihrem Wohnzimmer.
    Sie atmete tief ein; sie war so glücklich und zufrieden, dass sie die Luft am liebsten gar nicht mehr ausgeatmet hätte. Sie war in Paris. Sie alle waren hier. Claudie,
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