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Unsere schoenen neuen Kleider

Unsere schoenen neuen Kleider

Titel: Unsere schoenen neuen Kleider
Autoren: Ingo Schulze
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luxuriöses Leben«; rechts: »Kapital für den Ankauf neuer Maschinen, damit ständig mehr Mehrwert erzeugt wird«.
    »Bei Strafe des eigenen Untergangs«, rief Dr. Bartmann, »ist jeder Kapitalist gezwungen, die Produktion zu modernisieren und den Kampf gegen die anderen Kapitalisten zu führen. Dieser Konkurrenzkampf bewirkt eine ständige Verschärfung der Ausbeutung. Das ist das Wolfsgesetz des Kapitalismus. Das Wolfsgesetz bewirkt …«
    Ich weiß noch, wie zwiespältig ich fühlte, als ich diese Passage aus meinem Hefter abtippte. Zum einen machte mich die Erinnerung an jene Schulstunden beklommen. Zum anderen klang das wie Klartext, eine Wahrheit, die mich betraf. Und wenn auch die Bezeichnung Kapitalist altertümlich wirkte, stimmte doch – so fand ich plötzlich – das Ganze heute mehr noch als 1977. Unter Punkt c des Wolfsgesetzes folgte dann: Kampf um Absatzmärkte und Rohstoffe, Klammer auf, Kriege, Neokolonialismus, Klammer zu.
    Die Feststellung, dass die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden, könnte als Überschrift über die letzten zwanzig Jahre geschrieben werden. Noch nie war der private Reichtum so groß, noch nie war die öffentliche Verschuldung so hoch. Heute sind wir laut Bund der Steuerzahler mit 2030 Milliarden verschuldet, das sind pro Kopf ca. 24 700 Euro. (Zum Vergleich: Die Verschuldung der DDR betrug nach den Berechnungen der Bundesbank von 1999 20 Milliarden D-Mark, das waren pro Kopf ca. 1200 D-Mark, die OECD berechnete für die DDR pro Kopf 674 Dollar Schulden. Selbst wenn man das sehr großzügig inflationsbereinigt, kommt man auf nicht mehr als 1000 Euro pro Kopf.)
    Der Bund der Steuerzahler versucht unsere heutige Verschuldung durch ein Beispiel zu veranschaulichen: »Würden ab sofort keine Schulden mehr aufgenommen und würde die öffentliche Hand gesetzlich verpflichtet, neben allen anderen Ausgaben für Personal, Investitionen, Sozialleistungen, Zinsen etc. jeden Monat auch eine Milliarde Euro an Schulden zu tilgen, so würde dieser Prozess 169 Jahre lang andauern müssen, um den Schuldenberg vollständig abzutragen.« Jeder achte Euro, der eingenommen wird, muss allein für die Zinsen ausgegeben werden.
    Immer wieder wird das Ausgabenverhalten der Staaten als Ursache für die Krise angesehen, denn Länder mit soliden Staatsfinanzen, so die Argumentation, würden Spekulanten gar keine Möglichkeit bieten, sie in die Enge zu treiben. Das allein schon ist ein befremdliches Denken. Merkwürdigerweise wird bei Staaten immer auf die Ausgaben gesehen, die in aller Regel direkt oder indirekt der ganzen Gesellschaft zugutekommen – es sei denn, wir brauchen ein paar hundert Milliarden, um die Banken zu retten.
    Die tatsächliche Belastung des Staatshaushaltes durch die Bankenrettung ist noch schwer zu beziffern. Nach Joaquín Almunia, Vizepräsident der EU -Kommission, erhielten die Banken von Oktober 2008 bis März 2010 etwa 4 Billionen Euro Staatshilfen, das sind also 4000 Milliarden, davon drei Viertel in der Form von staatlichen Garantien. Die Banken nahmen von den Staatsgarantien tatsächlich 994 Milliarden Euro in Anspruch. Seit 2008 sei im Zuge der Finanzmarktstützungsmaßnahmen der Schuldenstand in Deutschland um 335 Milliarden Euro gestiegen (wobei allein 241 Milliarden auf die Hypo Real Estate und die West LB entfallen), das entspreche 13,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Im September 2011 belief sich der Schuldenstand des Gemeinwesens noch auf rund 265 Milliarden Euro. Natürlich kommt – so steht zumindest zu hoffen – ein Großteil des Geldes wieder herein. Aber durch die sogenannten Rettungsschirme kommen erneute Risiken vor allem auf die Steuerzahler zu. Für den ersten Rettungsschirm haftet Deutschland mit 168 Milliarden Euro an Garantien und 22 Milliarden Bareinzahlungen. Die eigentliche Haftungsgrenze für Deutschland liegt aber bei 211 Milliarden, wenn nicht gar wesentlich höher.
    Merkwürdig ist nur, dass unser System so eingerichtet ist, dass wir, also das Gemeinwesen, nachdem es die Banken gerettet hat, sich von den Banken die Zinsen diktieren lässt, zu denen wir uns nun wieder das Geld leihen, das uns durch die Bankenrettung fehlt. Jeder, der sein Konto überzieht, zahlt Überziehungszinsen, die im Schnitt zwischen 12 und 13 Prozent liegen. Wäre es nicht gerecht, wenn das Gemeinwesen den Banken ähnliche Zinsen für deren überzogene Konten stellen würde? Warum wird eigentlich nicht gefragt, ob es die fehlenden
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