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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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Gasthaus namens
The Weaver
. Ich sagte immer nur: «Gehen wir in den Pub?», nie: «Gehen wir in den Weaver?», weil ich das englische W nicht aussprechen konnte.
    Der dunkle Parkettboden hatte seinen Glanz verloren, an der Eingangstür stand auf einer Tafel mit der Hand geschrieben: «Willkommen im Weaver, berühmt für sein großartiges Essen und seine noch bessere Atmosphäre.» Vermutlich war der schriftliche Hinweis angebracht, weil sonst niemand darauf gekommen wäre. Inzwischen ist der Pub etwas aufgewertet worden: Auf der Herrentoilette wurde ein Automat angebracht. «Golden Root, das Kräuter-Viagra», gibt es dort, die 300-Milligramm-Kapsel für vier Pfund. «Du wirst es lieben und sie erst recht», steht auf dem Automaten.
    Ich ging mit meinen Arsenal-Jungs Half Ear und Twig zum Billardspielen in den Weaver. An der Bar saßen Männer, deren Alter unmöglich zu schätzen war. Die meisten trugen Baseballmützen und Tätowierungen. Der Wirt war grau; nicht nur seine Haare, auch im Gesicht. Wenn wir nachmittags um vier Limonade bestellten, kam es mir immer vor, als würden die Männer an der Bar uns über ihre Biergläser hinweg überrascht mustern. Aber sie grüßten höflich, sie erwarteten dasselbe von uns, und als mein Vater bei einem seiner Besuche in den Weaver ging, schien er schnell Kontakt zu finden. Ihn zog es jedenfalls immer wieder hin.
    Die Wasserhahn-Fraktion am Tresen las kopfnickend in den Boulevardzeitungen, dass die Deutschen mit ihrem Euro, ihrer EU und ihren europäischen Maßeinheiten eine Gefährdung waren; jetzt wollte diese Deutschen- EU tatsächlich den englischen Obstverkäufern das Abwiegen ihrer Bananen in Karat, Unze, Pfund verbieten. Und wenn die Männer mit ihren
England forever
-Tattoos die Zeitung weglegten, plauderten sie am Tresen ungezwungen, freundlich mit meinem Vater. Da war kein Widerspruch, nicht einmal ein Zusammenhang: Die Zeitungen bestärkten sie lediglich in ihrer abstrakten Angst, dass irgendwo dadraußen eine Gefahr für die englische Lebensart lauerte. Aber wenn die selben Männer hier drinnen im Weaver, wo Bierzapfhähne und Teekocher strikt in zwei Räume getrennt sind, einen Deutschen vor sich hatten, ging es doch darum, einfach eine gute Zeit zu haben – beziehungsweise darum, dem deutschen Gast in einem Akt klassischer britischer Zurückhaltung nicht zu zeigen, was man wirklich von ihm hielt.
     
    Ohne es zu wissen, war ich bei Arsenal in einen der spektakulärsten Kulturkämpfe zwischen Traditionalisten und Erneuerern hineingeschlittert. Arsenal war lange eine Trutzburg der Wasserhahn-Fraktion gewesen, ihre Bestätigung, dass sich manche Dinge Gott sei Dank doch niemals änderten. Arsenals Fußballer waren noch harte Männer, die taten, was harte Männer zu tun hatten. Sie gewannen die Spiele mit kompromisslosem Defensivfußball und tranken nach dem Sieg den ganzen Sonntag in Pubs wie dem Weaver Bier. Beim nächsten Training trugen sie dann trotz Sonnenscheins dicke Pullover, um den Alkohol herauszuschwitzen, und redeten begeistert darüber, wie besinnungslos sie doch am Sonntag gewesen wären. Hart gegen die Gegner, härter gegen sich selbst, aber nie unfair, nicht unbedingt technisch brillant, aber immer leidenschaftlich, ehrlich. Dieses Selbstbild pflegte der englische Fußball voller Stolz. Es war das Spiel der Arbeiterklasse; es sollte Arbeiterfußball bleiben. Und dann kam 1996 Arsène Wenger.
    Mit seinen grauen Haaren, seiner runden Brille und dem ruhigen Ton strahlte er etwas Professorales aus. Und wer war er überhaupt?! Ein Franzose, der in Japan trainiert hatte. Das schien ein bisschen zu viel des Guten.
    Wenger respektierte die Werte des englischen Spiels, ich glaube, er verliebte sich sogar in die Leidenschaft, den Respekt und das Spielerische des englischen Fußballs. Das machte es für die Freunde der
Daily Mail
umso schwieriger: Sie spürten, dieser Wenger revolutionierte den englischen Fußball, aber sie konnten ihn nicht greifen, nicht teeren und federn, denn er führte seine Veränderungen mit der berühmten britischen Zurückhaltung durch. Sie konnten nur aufheulen.
    Als ich 1999 kam, war Arsène Wenger, der Trainer aus einem Elsässer Gasthaus, bereits das Unmögliche geworden: der geliebte Traditionsbrecher. Er hatte das britische Publikum mit einem ungeahnten, verzückenden und auch noch erfolgreichen Fußball erobert. Arsenal, eben noch der radikale Interpret des traditionellen englischen Stils von Passion, Härte und langen,
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