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Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)

Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)

Titel: Unheilig (Die Chroniken der Schatten) (German Edition)
Autoren: S.M. Nightingale
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regen Fantasie. Doch das Leid, welches sie seit dieser Nacht täglich zu ertragen hatte, war real und ganz und gar kein Witz. Als sie die Vorhänge ein Stück beiseiteschob, war die Sonne schon halb hinter den hohen, schmutzigen Gebäuden der Stadt verschwunden und der Himmel von rosa und goldenen Schleiern durchzogen. Das Licht blendete sie und prickelte auf ihrer Haut. Sie zerfiel zwar nicht zu Staub, doch angenehm war es trotzdem nicht. Die Uhr zeigte viertel vor sieben. Es passierte selten, dass sie so früh aufstand.
         Sie hatte gelernt, die Nacht zum Tage zu machen, da die Wärme der Sonne sie auf die Dauer auszehrte und schwächte. Nur im Schutze der kühlen, dunklen Nacht war es ihr möglich, sich ohne Nebenwirkungen zu bewegen. Welche Ironie des Schicksals, wo sie sich doch ein Leben lang vor der Nacht gefürchtet hatte. Jetzt war es die einzige Möglichkeit zu überleben.
         Nachdem sie damals im Wald wieder aufgewacht war, hatte sie sich leer und ausgelaugt gefühlt, als hätte sie ihr ganzes Leben nur in einem Dämmerschlaf zugebracht. Jetzt war sie ein... Kyra wusste nicht genau,  was  sie war. Sie wusste nur, dass sie wenige Tage nach dem Ereignis einen schier wahnsinnig machenden Hunger verspürt hatte, der sich nicht stillen ließ. Und dann hatte sie jemanden angegriffen. Wie ein wildes Tier war sie über ihn hergefallen und hatte festgestellt, dass sie plötzlich verrückt nach menschlichem Blut war. Es war wie ein Drogenrausch, der Hunger war mit einem Mal weg. Gleichzeitig keimte ein fürchterlicher Verdacht in ihr auf, den sie bis zum heutigen Tage hartnäckig leugnete, obwohl es sich nicht mehr leugnen ließ. Und ganz gleich welches Leben sie hinter sich gelassen hatte – die neuen Kräfte, die ihr zuteilwurden, waren unbeschreiblich und machten den Verlust allemal wett.
         Nach einer eiskalten Dusche kramte sie in den Zeitungsartikeln auf ihrem Schreibtisch, bis sie das fand, wonach sie suchte. Es war eine vier Tage alte Meldung auf der Titelseite eines lokalen Magazins.
         „Zwei Menschen bei Blutmassaker getötet. Beide Leichen völlig ausgetrocknet.“
          Es war keine Absicht gewesen. Aber wie ließen sich unbequeme Zeugen sonst entsorgen? Von irgendetwas musste sie schließlich leben und Kyra bezweifelte stark, dass auch nur ein einziger Polizist in Watts Manns genug wäre, nach einem Wesen aus der Hölle zu fahnden.
     
         Die Straßen von Los Angeles waren bei Nacht noch düsterer und schmutziger als bei Tag. Selbst die bunten Lichter der Clubs konnten die erdrückende Stimmung nicht erwärmen. Die Menschen waren schweigsam und versuchten, möglichst keine Aufmerksamkeit zu erregen. Zwölf Morde innerhalb der letzten sechs Wochen überforderten selbst die Gesetzeshüter. Die Stadt der verlorenen Engel schwebte in einer Wolke aus Angst. Niemand wusste, wer solch grauenhafte Taten vollbringen konnte. Die Polizei tappte im Dunkeln, nicht den kleinsten Hinweis hatten sie in der Hand. Die Menschen waren so verängstigt, dass sie sich nachts kaum mehr auf die Straßen wagten. Wenn man doch welche sah, dann bewegten sie sich nur noch in Gruppen, meist bewaffnet mit Pistolen oder Sprungmessern. Kyra störte sich nicht an der allgemeinen Furcht. Aber die Angst, ertappt zu werden, konnte sie nicht leugnen.
         Sie schritt durch die Gassen eines heruntergekommenen Viertels, wohl wissend, welche Blicke sie auf sich zog. Ihr Gesicht war so bleich wie das fahle Licht des Mondes, die Augen schwer und dunkel umrahmt, als hätte sie seit Wochen nicht mehr geschlafen. Sie wirkte krank. Nachdem sie vor drei Monaten ihr Gesicht zum ersten Mal im Spiegel gesehen hatte, war sie so entsetzt gewesen, dass sie es sich buchstäblich hatte weg kratzen wollen. Aber die Verletzungen waren geheilt und das Gesicht geblieben.
         In den Straßen roch es nach Abfällen und Dreck. Kyra konnte Gerüche aus mehreren Kilometern Entfernung wahrnehmen, intensiver als ein Hund. Sie wusste nicht warum, aber es gefiel ihr nicht. Vor allem hier in der Stadt war die Reizüberflutung durch verschiedene Düfte fast nicht auszuhalten. Sie bekam davon Kopfschmerzen, rümpfte die Nase und blendete den Gestank aus. Ihr war klar, dass es sich kaum lohnen würde, hier zu bleiben. Marius hielt sich nicht in Los Angeles auf, da war sich Kyra fast sicher. Sie hatte nach ihm gesucht, sich umgehört und jeden noch so kleinen Hinweis verfolgt, doch sie war zu keinem Ergebnis
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