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Unglücklich sein (German Edition)

Unglücklich sein (German Edition)

Titel: Unglücklich sein (German Edition)
Autoren: Wilhelm Schmid
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Umgebung.
    Niemand muss aufhören, wenn es am schönsten ist, aber jeder kann sich beizeiten darauf einstellen, dass das Schöne nicht endlos verweilen kann, sondern beizeiten vergehen muss, bevor es ähnlich oder auf andere Weise wiederkehren kann. Die Abwesenheit des Schönen ist eine unschöne Zeit. Sich diese Zeit um jeden Preis schönreden zu wollen, zögert die Abwesenheit nur noch weiter hinaus. Stattdessen der Unlust, dem Unwohlsein und Unglücklichsein Raum zu geben, macht daraus eine Zeit der Regeneration im Energiesparmodus, das Glück kann sich erholen. Wichtig dafür ist lediglich, den Zeiten »danach« und »dazwischen«, den »Auszeiten« und »Flauten« ihr Eigenrecht nicht abzusprechen. Nur der Einzelne kann den Mut aufbringen, dem Zeitgeist, der auf dem Glückstrip ist, zu widersprechen. Zeiten ändern sich mit den Menschen, die sich ändern.
    Gerade dann, wenn das lang ersehnte Wohlfühlglück endlich da ist, kann ein Unglücklichsein darauf folgen. Günstige und angenehme Lebensumstände befördern das Glück, solange sie erstrebt werden und noch eine Weile darüber hinaus. Dann aber verpufft die Spannung des Lebens, das auf dieses Ziel ausgerichtet war. Der Betroffene weiß nicht, wie ihm geschieht, er hat doch alles erreicht: Mein Job, meine Familie, mein Auto, mein Haus. Eben deswegen. Was soll jetzt noch kommen? Mit wachsendem Wohlstand wächst die Angst, ihn zu verlieren. Die Beziehungsgewissheit schwindet, denn wofür noch zusammenhalten? Mit der Befreiung von alten Werten stellen sich neue Fragen:Was ist richtig, was ist falsch? Mit der größeren Wahlfreiheit wird der Verdruss größer, ständig wählen und dafür die Verantwortung übernehmen zu müssen. Und die vielen Möglichkeiten, die das moderne Leben offeriert, machen unglücklich, weil das Leben viel zu kurz ist, um sie alle zu realisieren, obwohl es länger ist als je zuvor. Darin, dass der moderne Begriff von Glück Menschen systematisch ins Unglück treibt, liegt die Tragik des Glücks.
    Zweifellos haben Menschen ein vitales Interesse daran, nach Lust zu suchen und Schmerzen zu meiden. Aber es liegt in der Natur der Dinge, dass das nicht immer gelingt. Schmerzen machen Menschen, von Ausnahmen abgesehen, unglücklich. Sie sollen aus dem Leben verschwinden, aber irgendwann sind sie da, körperliche Schmerzen aufgrund von Verletzung und Krankheit, seelische Schmerzen aufgrund einer gefühlten Enttäuschung und einer Verletzung von Gefühlen, geistige Schmerzen aufgrund einer gedachten Sinnlosigkeit in der Konfrontation mit Vergänglichkeit und Tod. Schmerzmittel wirken mäßigend, aber ganze Arsenale von Schmerzmitteln können nicht verhindern, dass es Schmerzen weiterhin gibt.
    Änderbar ist jedoch die Deutung von Schmerzen: Sorgen sie nicht für die Kontrasterfahrung, die die Lust erst fühlbar macht? Woher wüsste ich, was Lust ist, wenn ich keinen Schmerz kennen würde? Sind die intensivsten Glücksmomente nicht die, in denen der Schmerz nachlässt? Definiert er nicht glasklar die Wirklichkeit, die eben noch zu verschwimmen drohte? Fordert er nicht eine Neuorientierung des Lebens heraus? Was habe ich gemacht und vielleicht falsch gemacht? Was ist mir wichtig? Auf welche Menschen kann ich vertrauen? Was bleibt von diesem Leben, wenn es zu Ende geht? Was gebe ich weiter? Natürlich ist es auch ohne Schmerz möglich, sich immer wieder neu zu orientieren, aber kaum jemand macht das, denn es ist nicht der Ernstfall. Etwas muss weh tun, um Menschen in Unruhe über ihr Leben zu versetzen: Das ist dem Unglücklichsein zu verdanken.

3.
Abschied von der ewigen Zufriedenheit
    Wenn das eigene Land keine Anstalten macht, ein Recht auf Glück zu gewähren, bleibt als Hort der Hoffnung wenigstens noch das Königreich des Glücks, Bhutan, wo sich alles ums Bruttonationalglück dreht, zu dem jedenfalls der Glückstourismus einiges beiträgt. Wer nicht genauer hinsieht, tappt jedoch in die Bhutanfalle , denn er übersieht die wichtigste Bedingung des Glücks in einer buddhistischen Kultur: Die fraglose Akzeptanz des Schicksals, ein bewundernswertes, aber vollkommen anderes Verständnis von Glück als in der modernen Kultur, die kein Schicksal mehr kennen will. Und auch in Bhutan erleben Menschen Schattenseiten des Glücks: Die Pflicht, Nationaltracht zu tragen, dient nicht etwa nur der Bewahrung alter Traditionen, sondern auch der Eingemeindung nepalesischer Zuwanderer.
    In vielen Ländern sehen Menschen ihr Glück darin, überleben zu können.
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