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Unglücklich sein (German Edition)

Unglücklich sein (German Edition)

Titel: Unglücklich sein (German Edition)
Autoren: Wilhelm Schmid
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nicht über die Sterne, die ebenfalls Einfluss auf die scheinbare Zufälligkeit nehmen könnten – jedenfalls sind etliche Menschen auch in moderner Zeit davon überzeugt.
    Sicher ist nur, dass sich ein Geschehen als Schicksal deuten lässt, auch wenn es blanker Zufall sein sollte. Aus freien Stücken ein Schicksal darin zu sehen, sobald es nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann, erlaubt die Konzentration aller Kräfte darauf, gut mit dem Unguten umzugehen. Es liegt am Einzelnen selbst, nicht länger vergeblich dagegen anzukämpfen, sondern sich zu sagen: »Das ist jetzt mein Schicksal. Es ist, wie es ist, und wer weiß, wozu es gut ist.« Nicht jedes Schicksal mussakzeptiert werden, vieles ist veränderbar, etwa was die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung oder ihren Verlauf betrifft. Aber nicht alles lässt sich ändern, nicht jede mögliche Erkrankung ist für alle Zeiten auszuschließen.
    Es ist keine große Leistung, günstige Zufälle zu akzeptieren, die einem wie Sterntaler in den Schoß fallen. Eine große Lebensleistung ist eher auf der Schattenseite des Glücks erforderlich, wo es Pech regnet und jede Akzeptanz schwerfällt. Das Unglücklichsein und Unglück zu tragen, leisten die Betroffenen dabei vielfach nicht nur für sich selbst, sondern auch für Andere, wenn beispielsweise aus der Behandlung einer Krankheit etwas zu lernen ist, das anderen Menschen zugutekommt oder sie von vornherein vor einem Unglück schützt. Zahllose technische Verbesserungen sind auf diesem schweren Weg zustande gekommen, denn keine Technik kann auf Anhieb perfekt funktionieren. Menschen lernen durch Erfahrung, und die besteht zu einem guten Teil aus schlechter Erfahrung. Weiterhin geht es darum, mit individueller und gesellschaftlicher Vorsorge ein Zufallsunglück weniger wahrscheinlich zu machen, aber niemals wird es möglich sein, es restlos aus dem menschlichen Leben zu verbannen.

2.
Macht Glück immer glücklich?
    Freude am Leben zu haben und das Leben lieben zu können, ist schön. Aber nicht jedem ist das jederzeit möglich. Menschen können zwar viel für ihr Wohlfühlglück tun. Aber jedem Wohlsein entspricht ein Unwohlsein, jeder Annehmlichkeit eine Unannehmlichkeit, jedem Glücklichsein ein Unglücklichsein. Und je mehr ein Mensch sich auf das Wohlsein festlegt, desto größer wird das Potenzial für den Gegenpol. Bindet er sein Glück an die Gesundheit, kann ihn ein Schnupfen schon unglücklich machen. Soll ihm immer alles nur Spaß machen, genügt eine Stunde Langeweile fürs Unglück. Will er unbedingt jung bleiben, trifft ihn das Älterwerden schmerzlicher. Im Leben geht es ausschließlich um Lust? Dann überschattet der Schmerz beim Zahnarzt bereits eine Woche Leben im Voraus. Nur der Erfolg zählt? Dann genügt ein Misserfolg, um nicht mehr leben zu wollen. Lebenskunst heißt, in allem das Wunderbare zusehen? Dann wird das Nichtwunderbare wertlos, das den Alltag dominiert und mit dem zu leben ebenfalls Lebenskunst ist.
    Viele wollen das Wohlfühlglück in der Liebe finden. Das Glück! In der Liebe! Gibt es einen Bereich des menschlichen Lebens, der regelmäßiger unglücklich macht, fast unabhängig davon, was unter Liebe verstanden wird? Gilt sie als Erfüllung einer sozialen Pflicht, macht sie unglücklich, weil Gefühle keine Rollen spielen dürfen. Wird die Erfüllung durch schöne Gefühle von ihr erwartet, macht sie unglücklich, sobald die Gefühle ausbleiben, zeitweilig oder dauerhaft. Soll das heißen, es sei besser, nicht zu lieben? Nein, ganz im Gegenteil: Kaum etwas gewährt sonst so viel Sinn. Aber Menschen brauchen im Leben auch ein gewisses Quantum an Unglücklichsein, die Liebe liefert zuverlässig.
    Glück im Leben und in der Liebe heißt für viele »größtmögliche Lust«. So definierte John Locke das Glück in seinem Versuch über den menschlichen Verstand von 1690, seitdem liegt die Latte so hoch, dass niemand sie mehr überspringen kann.Aus dem Ehrgeiz, es immer von Neuem zu versuchen, bezieht die moderne Zeit ihren Antrieb. Das »Streben nach Glück« ( pursuit of happiness ), das Locke dem Menschen zuschrieb, fand Eingang in die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und genießt seither den Status eines Rechts, von dem auch die Menschen anderer Länder träumen. Die Einen verstehen darunter, dass der Einzelne ganz auf eigene Faust, möglichst ungestört von Anderen, von Gesellschaft und Staat, für sich selbst selig werden kann. Die Anderen bestehen auf einer
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