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Unglücklich sein (German Edition)

Unglücklich sein (German Edition)

Titel: Unglücklich sein (German Edition)
Autoren: Wilhelm Schmid
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Glück ist eine schöne Beigabe im Leben, jeder kann dankbar sein, wenn ihm etwas davon zuteil wird, aber bestenfalls in Teilen können Menschen darüber verfügen. Das Glück hat Grenzen, dem Leben zu viel davon abzuverlangen, ist sinnlos.
    Ist es nicht die Aufgabe der Lebenskunst, zum gelingenden Leben beizutragen und die Menschen glücklich zu machen? Ja, zum Teil, aber auch das Misslingen und Unglücklichsein gehört zum menschlichen Leben, schon weil es nicht einfach »weggemacht« werden kann. Gelingen ist keine Notwendigkeit, Scheitern ist immer eine Möglichkeit. Ich bemerke, wie ich immer zusammenzucke, wenn jemand vom gelingenden Leben spricht. Es steht Menschen nicht frei, ein Gelingen für sich in Anspruch zu nehmen, es ist nicht einfach machbar,allenfalls kann etwas halbwegs gelingen. Und ein schönes, erfülltes Leben ist nicht unbedingt identisch mit einem gelingenden. Warum also sich aufs Gelingen und aufs Glück festlegen? Was ist, wenn das Glück mich nicht findet? Was bleibt, wenn das Glück geht, wenn ein Projekt, eine Beziehung, eine Karriere und letztlich ein ganzes Leben scheitert?
    Das übermäßige Reden über das Glück nährt die Illusion, es könne ein gelingendes Leben, eine gelingende Beziehung ohne Einbußen und Schattenseiten geben. Das führt dazu, bei einem Scheitern doppelt und dreifach unglücklich zu sein. Wer sich um jeden Preis aufs Glück kapriziert und keinerlei Unglücklichsein akzeptiert, macht sich noch unglücklicher, wenn er bemerkt, dass die Schattenseiten des Glücks nicht einfach auszublenden sind. Im Kampf gegen sie verliert er die Kraft, die nötig wäre, um sie besser zu bewältigen, und die darauf folgende Entkräftung steigert noch das Unglücklichsein.
    Das Geschichtsbuch der Menschheit besteht aus einem schmalen Kapitel über das Glück und einem sehr umfangreichen Rest. Dieses Verhältnis verbessern zu wollen, ist unbedingt unterstützenswert, es umkehren zu wollen, ist unrealistisch. Es ist keine Besonderheit des Menschseins, unglücklich zu sein, das können vermutlich auch Tiere. Menschen können jedoch von Alternativen träumen. Sie können wissen, dass es Gründe fürs Unglücklichsein gibt, und wenn sie keine Gründe ausfindig machen, können sie aus diesem Grund erst recht unglücklich sein. Ein Zurück zum Tiersein steht ihnen nicht offen, nur die Anerkennung der Eigenheiten des Menschseins kann ihr Leben reicher und zugleich einfacher machen.
    Die eigentliche Herausforderung des menschlichen Lebens besteht nicht darin, glücklich zu sein. Mit ein wenig Wissen und Übung schafft das jeder, wenn auch immer nur für begrenzte Zeit. Weitaus schwieriger ist es, mit dem Unglücklichsein zurechtzukommen, es aufzunehmen und auszuhalten; ein solches Leben ist heroisch. Das macht den anderen und vielleicht größeren Teil der Lebenskunst aus, der für viele von Interesse ist, denn zu jedem beliebigen Zeitpunkt stellen die Unglücklichen mehr als nur eine kleine Minderheit in der jeweiligen Gesellschaft dar. Ihrer Anerkennung, Ehrenrettung und Ermutigung ist dieses Buch gewidmet.

1.
Wenn das Glück mich nicht findet
    Glück ist zuallererst Zufallsglück . Menschen brauchen sehr viel davon im Leben. Jeder, der auf sein bisheriges Leben zurückblickt, bemerkt, dass bei vielen Weichenstellungen unwahrscheinliche Zufälle im Spiel waren. Das war schon bei der Zeugung so und bleibt vermutlich so bis zuletzt. Das ganze Leben hindurch sind Menschen auf Zufälle angewiesen, die günstig für sie ausfallen, zufällige Begegnungen beispielsweise, die ihnen weiterhelfen. Aber sie müssen damit leben, dass sich das Zufallsglück nicht herbeizaubern lässt, sondern so kommt, wie es kommt. Wenn es kommt.
    Zufall ist, was einem zufällt, woher auch immer, günstig oder ungünstig. Frühere Zeiten waren vorsichtig genug, mit beidem zu rechnen, denn es ist ausgeschlossen, dass Zufälle immer nur günstig sein können. Die Wahrscheinlichkeit ungünstiger Zufälle lässt sich durch Vorsorge abmildern, aber nicht aufheben. Das deutsche Wort »Glück«, dasaus dem mittelalterlichen gelücke hervorging, bezeichnete ursprünglich den zufälligen Ausgang einer Angelegenheit im günstigen wie ungünstigen Sinne. In älteren Kulturen wurde die Zufälligkeit des Glücks in diesem doppelten Sinne als Göttin verehrt und gefürchtet: Tyche im Griechischen, Fortuna im Lateinischen. So konnten Menschen beides auf einen göttlichen Ursprung zurückführen und beides gleichmütig
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