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Unglücklich sein (German Edition)

Unglücklich sein (German Edition)

Titel: Unglücklich sein (German Edition)
Autoren: Wilhelm Schmid
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Grundsicherung für jeden Einzelnen, damit ihm ein Streben nach Glück überhaupt erst ermöglicht wird und er nicht unentwegt ums Überleben kämpfen muss.
    Viele machen in Gedanken aus dem Recht auf Streben nach Glück ein Recht auf Glück , das ihnen Gesellschaft und Staat allgemein, das Leben und die Liebe im Besonderen zu gewähren haben. Aber wie wäre ein entsprechender Rechtsanspruch geltend zu machen? Soll der Staat mir, wenn mir die Mittel dafür fehlen, die tägliche Tasse Espresso bezahlen, die mich für einen Moment glücklichmacht, von anderen Dingen mal ganz abgesehen? Wie klage ich das Glück von dem Menschen ein, den ich liebe, unter Androhung welcher Sanktionen? Moderne Menschen tendieren dazu, Ansprüche an das Glück zu stellen, die maßlos und vermessen sind. Wo doch schon Immanuel Kant in seinen Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen von 1764 dazu riet, man solle »keine sehr hohe ( sic! ) Ansprüche auf die Glückseligkeiten des Lebens und die Vollkommenheit der Menschen machen«.
    Selbst Friedrich Nietzsche, der sich in seinem Werk Also sprach Zarathustra über das kleine Glück der »letzten Menschen« mokierte (»Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht«, Zarathustras Vorrede), ging ein paar Jahre später in seiner Schrift Zur Genealogie der Moral (Dritte Abhandlung, 14) so weit, den von ihm erfundenen neuen Menschen ein Recht auf Glück zuzugestehen. Sie sollten es sich nehmen dürfen und ohne übertriebene Rücksicht gegen die Unglücklichen durchsetzen können. Das Glück als Frage der Macht, ein Vorschein auf kommende Zeiten?
    Kann ja sein, dass die Menschen nach Glück streben. Aber nach allen Seiten hin ist dieses Streben dunkel eingerahmt: Die Menschen streben nach Glück, weil sie unglücklich sind. Auch dann, wenn sie ihr Glück finden, kommen sie ohne Unglücklichsein nicht aus, da sie den Kontrast zum Glück brauchen – aus diesem Grund kann kaum eine Gala-Fernsehsendung, die ihre Zuschauer glücklich machen will, auf die Darstellung von Unglück verzichten. Und sobald das Glück die Menschen verlässt, fallen sie wieder zurück ins Unglücklichsein. Momente und Zeiten des Glücks sind sinnvoll, um sich vom Unglücklichsein zu erholen, aber es ist unsinnig, sie auf Dauer haben zu wollen, denn ewig fortdauern können sie nicht. Umso misslicher, dass sich genau das viele vom Glück erhoffen: Dauerhaftes Wohlergehen, immerzu Freude, gute Laune und viel Spaß. Aber das Glück in einer Art von Dauerlust zu suchen, ist der sicherste Weg, unglücklich zu werden.
    Kein Mensch kann sich immer nur freuen, alle Glückshormone und Endorphine im Körperinneren können daran so wenig ändern wie die von außen zugeführten Stimulanzien und Drogen. Ohnehin wird die Wirkung der »Glücklichmacher« zuweilen etwas übertrieben. Die Wirkung der Schokolade auf die Schutzschicht der Zähne und die Rundungen des Körpers übertrifft die auf den Hormonhaushalt beträchtlich, bedauerlicherweise. Allzu häufig das Lieblingsgericht zu essen, fördert den Überdruss anstelle des Wohlbefindens. Auch Wellness kann übertrieben werden, der Kreislauf wartet nicht, bis warnende Signale Beachtung finden. Zweifellos macht Sex glücklich, aber häufiger als seine Anwesenheit ist seine Abwesenheit, die jedenfalls den unglücklich macht, der auf seine Anwesenheit hofft. Wer zu sehr allem Neuen nachrennt, um dessen »Kick« zu spüren, bemerkt zu spät, dass er sich selbst dabei zurücklässt; mühsam muss er sich wieder auf die Suche nach sich begeben.
    Die Chemie des Glücks macht unglücklich, wenn sie überstrapaziert wird. Denn es handelt sich um Stoffe, die sich alsbald erschöpfen und daher regeneriert werden müssen, bevor sie das Leben wieder befeuern können, um sich von Neuem zu erschöpfen … Erschöpft ist mit ihnen der Mensch, der des Glücklichseins von Zeit zu Zeit müde wird. Er wird zum Opfer seiner Lustwut und ist froh, sich endlich der Unlust hingeben zu dürfen, die ihm keine Anstrengung des andauernden Frohsinns mehr abverlangt. Das Traurigsein wird zu seiner Rückfallposition. Endlich darf er die andere Seite in sich ausleben. Zwar droht demjenigen, der »nicht gut drauf ist«, der soziale Tod, niemand will ihn in seiner Nähe haben. Aber dem, der »immer gut drauf ist«, geht es nicht immer besser, denn er arbeitet sich vergeblich daran ab, das Wohlgefühl auf Dauer zu stellen, unversehens wird auch er zu einer Zumutung für seine
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