Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens.
Autoren: Stefan Zweig
Vom Netzwerk:
braucht nur zu träumen, und schon ist der Wunsch erfüllt. Wie wir jetzt aufstehen und die Sessel rücken und Paar an Paar – ich reiche Ilona den Arm und fühle wieder die kühle, weiche, üppige Haut – in den Salon hinübergehen, sind alle Tische heinzelmännisch weggeräumt und die Sessel rings an die Wand gestellt. Glatt, blank, braun spiegelt das Parkett, himmlische Eisbahn des Walzers, und von dem Nebenraum her animiert unsichtbar die Musik.
    Ich wende mich zu Ilona. Sie lacht und versteht. Ihr Auge hat schon »Ja« gesagt, schon wirbeln wir, zwei Paare, drei Paare, fünf Paare über das glatte Parkett, indes die Behutsameren und Älteren zuschauen oder plaudern. Ich tanze gern, ich tanze sogar gut. Verschlungen schweben wir hin, ich glaube, ich habe nie besser getanzt in meinem Leben. Bei dem nächsten Walzer bitte ich meine andere Nachbarin; auch sie tanzt ausgezeichnet, und ich atme, zu ihr hinabgebeugt, mit einer leichten Betäubung das Parfüm ihres Haars. Ach, sie tanzt wunderbar, alles ist wunderbar, ich bin so glücklich wie seit Jahren nicht. Ich weiß nicht mehr recht aus und ein, ich möchte am liebsten alle umarmen und jedem etwas Herzliches, etwas Dankbares sagen, so leicht, so überschwenglich, so selig jung empfinde ich mich. Ich wirble von einer zur andern, ich spreche und lache und tanze und spüre, hingerissen in dem Geström meiner Beglückung, nicht die Zeit.
    Da plötzlich – ich blicke zufällig auf die Uhr: halb elf – fällt mir zu meinem Schrecken ein: jetzt tanze und sprecheund spaße ich schon fast eine Stunde herum und habe, ich Lümmel, noch gar nicht die Haustochter aufgefordert! Nur mit meinen Nachbarinnen und zwei, drei andern Damen, gerade denen, die mir am besten gefielen, habe ich getanzt und die Haustochter total vergessen! Welche Flegelei, ja, welcher Affront! Nun aber fix, das muß sofort repariert werden!
    Doch zu meinem Schrecken kann ich mich überhaupt nicht mehr genau erinnern, wie das Mädchen aussieht. Nur einen Augenblick lang habe ich mich ja vor ihr verbeugt, als sie schon bei Tisch saß; ich entsinne mich bloß an irgend etwas Zartes und Fragiles und dann an ihren raschen grauen Neugierblick. Aber wo steckt sie denn? Als Haustochter kann sie doch nicht weggegangen sein? Unruhig mustere ich die ganze Wand entlang alle Frauen und Mädchen: keine will ihr gleichen. Schließlich trete ich in das dritte Zimmer, wo, von einem chinesischen Paravent verdeckt, das Quartett spielt, und atme entlastet auf. Denn da sitzt sie ja – bestimmt, sie ist es zart, dünn, in ihrem blaßblauen Kleid zwischen zwei alten Damen in der Boudoirecke hinter einem malachitgrünen Tisch, auf dem eine flache Schale mit Blumen steht. Sie hält den schmalen Kopf ein wenig gesenkt, als horchte sie ganz in die Musik hinein, und gerade an dem heißen Inkarnat der Rosen werde ich gewahr, wie durchsichtig blaß ihre Stirn schimmert unter dem schweren braunrötlichen Haar. Aber ich lasse mir keine Zeit zu müßiger Betrachtung. Gott sei Dank, atme ich innerlich auf, daß ich sie aufgespürt habe. So kann ich mein Versäumnis noch rechtzeitig nachholen.
    Ich gehe auf dem Tisch zu, nebenan knattert die Musik, und verbeuge mich zum Zeichen höflicher Aufforderung. Ein befremdetes Auge starrt überrascht zu mir auf, die Lippen bleiben halb offen mitten im Wort. Aber sie macht keinerlei Bewegung, mir zu folgen. Hat sie nicht verstanden?Ich verbeuge mich also nochmals, meine Sporen klimpern leise mit: »Darf ich bitten, gnädiges Fräulein?«
    Aber was jetzt geschieht, ist furchtbar. Der vorgebeugte Oberkörper fährt mit einem Ruck zurück, als wollte er einem Schlage ausweichen; gleichzeitig stürzt von innen ein Guß von Blut in die bleichen Wangen, die eben noch offenen Lippen pressen sich scharf ineinander, und nur die Augen starren unbeweglich auf mich mit einem solchen Ausdruck von Schrecken, wie er mir noch nie im Leben entgegengefahren ist. Im nächsten Augenblick geht durch den ganzen aufgekrampften Körper ein Ruck. Sie stemmt sich, stützt sich mit beiden Händen am Tisch empor, daß die Schale darauf klappert und klirrt, gleichzeitig fällt etwas hart von ihrem Fauteuil auf den Boden, Holz oder Metall. Noch immer hält sie sich mit beiden Händen an dem wankenden Tisch fest, noch immer schüttert es diesen kindleichten Leib durch und durch; aber trotzdem, sie flüchtet nicht weg, sie klammert sich nur noch verzweifelter an die schwere Tischplatte. Und immer wieder dieses Schüttern,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher