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Unendlichkeit in ihrer Hand

Unendlichkeit in ihrer Hand

Titel: Unendlichkeit in ihrer Hand
Autoren: Gioconda Belli
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stets ein Ausdruck von Dreistigkeit und spöttischem Vergnügen umspielte. Anstelle von Haaren trug sie einen weißen Federbusch auf dem Kopf.
     
    »Es ist ihm lieber, wenn ihr euch ruhig und passiv verhaltet wie die Katze und der Hund. Wissen weckt Unruhe und reizt zum Widerstand. Dann nimmt man die Dinge nicht mehr, wie sie sind, sondern versucht, sie zu ändern. Schau dir doch sein eigenes Werk an. In sieben Tagen hat er alles, was du hier sehen kannst, aus dem Chaos erschaffen. Er hat sich die Erde ausgedacht und sie gemacht: die Himmel, das Wasser, die Pflanzen, die Tiere. Dann hat er euch gemacht, Mann und Frau. Heute ruht er sich übrigens aus. Danach wird er sich langweilen. Er wird nichts mit sich anzufangen wissen. Dann werde ich wieder diejenige sein, die ihm Ablenkung verschafft. So ist es seit Ewigkeiten. Konstellation auf Konstellation. Er erschafft sie und wird ihrer überdrüssig.«
     
    In seinem Versteck hinter dem Baum verfolgte Adam voller Neugier das Gespräch zwischen Eva und der Kreatur. Seine Brust fühlte sich eng, an und sein Atem ging schneller. Die gemurmelten Warnungen des Anderen gingen ihm durch den Sinn, irgendetwas von einem Baum. Von einem Baum, zu dem er nicht hin sollte. Den er nicht berühren sollte. Wieso der Andere das nicht wollte, hatte er ihm nicht erklärt. Bisher hatte die einzig sinnvolle Aufgabe für ihn darin bestanden, die Frau zu begleiten, obwohl sie eigentlich ganz gut auf sich selbst aufpassen konnte. Dasselbe galt für den Garten. Die Pflanzen wuchsen und kamen auch ohne ihn zurecht. Die Stimme der Kreatur, die sich da mit Eva unterhielt, war ihm irgendwoher vertraut. Es war die Stimme seiner eigenen Zweifel, wenn er sich über die Pläne des Anderen Gedanken machte. Im gleichen ungeduldigen Ton rang er dann darum, den Grund seines Daseins zu verstehen.
    »Du glaubst also, dass es so einfach ist?«, wollte Eva wissen. »Ich brauche nur von der Frucht dieses Baumes zu essen, dann weiß ich alles, was ich wissen will?«
    »Und stirbst.«
    »Keine Ahnung, was das ist. Also werde ich mir jetzt nicht den Kopf darüber zerbrechen.«
    »Du bist zu jung, um dir darüber den Kopf zu zerbrechen.«
    »Und du? Wie kommt es, dass du das alles weißt?«
    »Immerhin gibt es mich schon sehr viel länger als dich. Wie gesagt, ich habe miterlebt, wie das alles hier erschaffen wurde, aber was das für einen Sinn haben soll, weiß ich auch nicht. Elohim erschafft immer wieder Neues und Neues aus dem Nichts und gibt dem eine Menge Bedeutung.«
    »Du etwa nicht?«
    »Für mich ist das Ganze eine belanglose Spielerei und nicht frei von Eitelkeit.«
    »Glaubst du, wir sind bloß eine Laune von diesem Elohim?«
    »Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht. Manchmal kommt es mir so vor. Was für einen Sinn soll euer Dasein denn haben? Wozu hat er euch erschaffen? Ihr werdet euch in diesem Garten ohnehin nur langweilen.«
    »Adam glaubt, dass wir den Boden bestellen werden und Pflanzen und Tiere versorgen.«
    »Wen gibt es denn hier zu versorgen? Was gibt es hier zu bestellen? Es ist doch alles gemacht. Alles läuft reibungslos«, sagte die Kreatur und unterdrückte ein Gähnen. »Allerdings habt ihr, Adam und du, im Gegensatz zu allen anderen Geschöpfen des Universums die Freiheit, zu entscheiden, was ihr wollt. Es steht euch frei, von dem Baum hier zu essen oder nicht. Elohim weiß, dass die Geschichte erst beginnen wird, wenn ihr von dieser Freiheit Gebrauch macht, aber wie du merkst, fürchtet er sich auch davor, dass ihr es tun könntet. Er hat Angst, dass ihm seine Schöpfung am Ende allzu ähnlich wird. Es ist ihm lieber, sie für alle Ewigkeit in ihrer Unschuld zu betrachten. Deshalb verbietet er euch, vom Baum zu essen, denn dann könntet ihr ja beschließen, frei zu sein. Aber na ja, vielleicht ist die Freiheit ja gar nichts für euch. Du merkst ja, allein die Vorstellung lähmt dich.«
    »Man könnte meinen, du willst mich dazu drängen, von der Frucht zu essen.«
    »Ganz und gar nicht. Ich beneide dich nur um deine Freiheit, zu wählen. Wenn ihr von der Frucht esst, du und Adam, dann seid ihr frei, wie Elohim.«
    »Wofür würdest du dich denn entscheiden, für das Wissen oder für die Ewigkeit?«
    »Wie gesagt, ich bin eine Schlange, ich habe diese Wahl nicht.«
     
    Eva betrachtete den Baum. Was konnte schon passieren, wenn sie es wagte, von seinen Früchten zu essen? Wieso sollte sie der Schlange glauben? Aber sie wagte es trotzdem nicht. Sie sah ihre Hände an und bewegte
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