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Und wir scheitern immer schoener

Titel: Und wir scheitern immer schoener
Autoren: Dirk Bernemann
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Fußboden zersprangen, und eine zerschlagene kleine Frau mit rötlich glänzenden Schamlippen, die sich nach Liebe sehnte. Scheißegal. Die muss jetzt weg. Nochmals meine Worte: «Anziehen, verpissen!» Ratlos suchte sie ihren Krempel zusammen, um sich in ihn zu integrieren.
     
    Als sie fertig und bekleidet war, nur ein fragender Blick, auf den ich «Verschwinde!» antwortete. Riesige Fragezeichen in kleinen, besoffenen, heulbereiten dummen Augen. Salziges Wasser schob sich durch Annes Netzhäute und ich die kleine Frau durch die Tür, wieder in ihre kleine, verzweifelte Welt. Draußen hörte ich sie leise fluchen, dann weinen. Irgendwann hörte ich dann Schritte, die ihr Verschwinden bestätigten.
     
    Ich verstehe mich nicht. Die Nachvollziehbarkeit meiner eigenen Handlungen ist mir nicht wichtig. Wär doch schön, wenn da jemand wär, der länger bleibt als eine Nacht. Meiner eigenen Coolness halber wird dieser Gedanke vom Testosterongebaren weggespült. Ich kann mir keine Sentimentalitäten leisten. Die machen verletzbar. Und man weiß doch, was es heißt, verletzbar zu sein. Gerade als Mann. Nicht mehr wegkommen, hieße das, bewegungsunfähig sein, nicht mehr seine verdammten Schwingen spreizen und fortfliegen können. All das weggespült mit lähmenden Verletzungen.
     
    Ich bin ein Fickmensch, kein Denkmensch. Mit diesem Wissen gehe ich schlafen und vergesse die Reste der Nacht. Aber da taucht noch ein Gedanke auf, so zwischen Schlaf und Wach-Sein, der mir sagt: «Meister der Schnellreflexion sind Meister des Selbstbetrugs.» Ich möchte diesen Satz in mein Bewusstsein schreiben, bin aber zu schwach. Die Müdigkeit holt mich zu sich.
     
     
     
     
     
     
    Morgenkind (Stück in zwanzig Teilen)
     
     
    Barbie gefoltert
     
    Viele britische Mädchen zwischen sieben und elf Jahren foltern ihre Barbies: Sie verstümmeln oder enthaupten ihre Puppen oder lassen sie in der Mikrowelle schmoren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Uni von Bath. Die Forscher erklären: Mädchen wenden sich so mit dem Älterwerden von einem ‹babyhaften› Symbol ihrer Kindheit ab.
     
    Aus der Borkener Zeitung vom 29.12.2005
     
     
    Wieder ein Morgen, wieder Aufstehen. Wieder Widerstand. Wieder niemand da. Wieder Stille. Leises Leben, doch kein Frieden in mir. Ich bin Protagonist meiner unaufhaltsamen Lebensserie. Und wieder eine Folge, in der nichts passiert, was mich weiterbringt. Jeden Tag aufs Neue. Und irgendwie bin ich ein schlechter Darsteller im eigenen Leben. Ich stelle mich nicht so dar, wie ich gerne wäre, denn so, wie ich gerne wäre, kann ich wahrscheinlich nie sein. Unvermögen und Selbstmitleid. Unscheinbar und unverdächtig. Das Trotteltier der Menschenherde.
     
    Jeden Tag geh ich ins Bad und wasche ein Frauengesicht. Dann male ich mir neue Gesichtszüge. Versuche, etwas Gefühl zu zeichnen, aber da ist nur Verfall. Nur langsames Altern. Die Maske, die ich mir mache, ist mein öffentliches Versteck vor der grausamen Realität.
     
    Verfall wird durch Kosmetik beschleunigt und ausgeglichen. Ich male mir jeden Morgen ein Gesicht, das nicht meins ist. Umrande betonend meine Augen mit schwarzem Kajal. Puder. Rouge. Make-up, make me up, don't let me fall down! Aber ich falle täglich tiefer in diesen Prozess des Alterns. Und das neue Gesicht strahlt nur künstlich. Ganz hinten ist es echt, aber was man sieht, ist Kunst.
     
    Dann die Frisur. Der Versuch, aus toten Zellen Design zu machen. Ich gebe mir Mühe. Aber es ist noch niemandem gelungen, aus Scheiße Gold zu machen. Ich und meine Frisur sind Feinde. Ich trag mein Haar zwar kurz und kann es modern erscheinen lassen, aber es darf kein Hauch Wind zu viel durch die Atmosphäre strömen, sonst ist es wieder hin.
     
    Das ist mein Beruf. Haare, Haarteile, schneiden, föhnen, tönen, verteilen, färben, lügen – «Diese Frisur steht Ihnen aber ausgezeichnet!» –, kassieren, Smalltalk und sich mies fühlen. Jeden Tag. Ohne emotionale Bindung. Da ist nichts zum Festhalten außer Kaffee und Zigaretten.
     
    Und am Wochenende gebe ich meinen Körper frei. Und mein Gehirn macht Urlaub. Es fährt sogar ins Ausland, mein Gehirn, und träumt. Ich durchspüle es mit internationalen Spirituosen, und es freut sich, weil es nicht mehr über mein Leben nachzudenken braucht. Das ist ja auch viel zu anstrengend.
     
    Smalltalk und ‹Smallalk› meint kurze Gespräche und kurze Getränke. Das ist der Lifestyle, der so langsam meinen Stolz zerbröselt. Ich bin nicht mit
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