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Und was wirst du, wenn ich gross bin

Und was wirst du, wenn ich gross bin

Titel: Und was wirst du, wenn ich gross bin
Autoren: Sven Kemmler
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dann nicht am angestammten Platz liegen.
    Mein Vater, mein Bruder, die Nachbarn, mein bester Freund und ich suchten drei Stunden lang, bevor Otto sich plötzlich kurz bewegte und damit seinen Standort verriet.
    Ich hatte damals wohl grundsätzlich ein Händchen für Vergesslichkeit, nicht nur bezüglich Haustieren, sondern auch was Schlüssel und vor allem Geldbeutel betraf. Das wurde mir vollends bewusst, als ich einmal nach einem Lebensmitteleinkauf, bei dem ich nachweislich Geld dabei gehabt hatte, wieder von zu Hause loswollte und nach fünfzig Metern feststellte:
    »Kein Geldbeutel dabei!«
    Ich suchte gut zwei Stunden danach, wobei ich zweimal zum Geschäft zurückradelte. Als ich ihn schließlich im Kühlschrank neben der Butter fand - und das auch nur, weil ich mir erschöpft ein Brot schmieren wollte -, warf das doch einige grundlegende Fragen auf bezüglich meiner geistigen Präsenz im Hier und Jetzt. Und leider sind Haustiere deutlich empfindlicher als Geldbeutel.
    Der Herbst kam, und mit ihm ging Otto. Die Milben waren zurückgekehrt, und er hatte sich verkühlt. Ich begrub ihn neben Nina, Annette, den Jungen, Captain Cook, der Schildkröte meines Bruders, und Minka der Katze, die zwei Jahre vorher von einem Auto überfahren worden war.
    Reptilienhaltung war Neuland für mich gewesen - und das ist es auch geblieben. Ich war ein gutes Beispiel für etwas, was man in der Wirtschaft, aber auch in der Politik täglich verfolgen kann und was seit jeher gilt, wenn sich jemand aufmacht, um unentdecktes Land in Besitz zu nehmen, seien es die Konquistadores oder die Hunnen:
    Wichtigtuer ohne wirkliche Ahnung hinterlassen meist viele Gräber.
    Zum Glück gibt es Arten der Selbstdarstellung, die weniger Kollateralschäden verursachen, und glücklicherweise fand ich eine. Da zudem die Pubertät eingesetzt hatte, gewann das Urteil von Mädchen zunehmend an Gewicht. Also habe ich still und leise den Club der Terrarianer verlassen und bin einem Leichtathletikverein beigetreten.
     

4
     
    bürgerrechtler
     
    Mit dreizehn ist man nicht mehr Kind, sondern Teenager, und somit erwachsenes Mitglied der Gesellschaft. Was aber, wenn sich die Gesellschaft ändert? Das erlebte ich eindringlich, als ich aufgrund eines beruflichen Austauschjahres meines Vaters als Dreizehnjähriger für ein Jahr in Pensacola, Florida, landete.
    Nun hat Florida einen guten Klang, und obwohl ich noch zu jung war, um an Pools oder am flaschengrünen Meer Cocktails zu schlürfen, versprach es doch weiße Strände, Palmen und ein angenehmes Reizklima. Und Pensacola hat traumhafte Strände, inklusive Palmen und einer sanften Brandung. Otto hätte sich hier wohlgefühlt.
    Doch natürlich verbindet man mit Florida außerdem noch weiße Anzüge, Ernest Hemingway, Exilkubaner und mondänes Lebensgefühl.
    Was das betrifft, liegt Pensacola nur geografisch in Florida. Zehn Meilen entfernt beginnt bereits Alabama, und das trifft die Sache schon eher. Die Hauptattraktionen Pensacolas sind also schnell beschrieben:
    Highlight ist die vorgelagerte schmale Insel, Gulf Breeze, und der anhängige »Five Mile Beach«, ein endlos langer, dünner weißer Sandstreifen, spärlich bewachsen, auf dem sich jeder Darsteller aller jemals gesendeten Bacardiwerbungen sofort häuslich niederlassen würde.
    Dazu kommt das historische Zentrum, wobei aus Europa kommend das Wort »historisch« in den USA immer etwas Bemitleidenswertes hat, sobald man die anhängigen Jahreszahlen sieht. Es ist nicht immer leicht, Menschen mit dem nötigen Enthusiasmus zu begegnen, die einem erzählen, dass dieses Gebäude schon achtzig Jahre alt sei, wenn man daheim die eigene Uroma, die über achtzig ist, regelmäßig in ihrer Wohnung besucht hat, in der sie ganz unspektakulär seit ihrer Geburt lebt.
    Die dritte Attraktion war der Flugzeugträger U.S.S. Lexington, der als Ausbildungsschiff für Navy-Piloten diente und ab und zu Tag der offenen Kajüte hatte. Sicher die Hälfte der Einwohner Pensacolas bestand aus Navy-Mitarbeitern rund um den Navy-Stützpunkt. Nun ist in den Staaten die Soldatenlaufbahn nicht nur Auffangbecken für Hochbegabte, was sich schon auch auf die geistige Gesamtsituation einer Ortschaft auswirken kann. Ich erinnere mich noch an einen US Marine, der mir bei einem Besuch immer zuzwinkerte, wenn er den Kronkorken einer Bierflasche mit der Hand aufdrehte und sagte:
    »Das ist ein Schraubverschluss.«
    Meine Versuche, das nachzumachen, haben mich einige Hautschichten
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