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und der Hongkong-Buddha

und der Hongkong-Buddha

Titel: und der Hongkong-Buddha
Autoren: Dorothy Gilman
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Robins Aufmerksamkeit erregen mußte. Er sah zu ihr herüber.
    Ihre Blicke trafen sich, und für den Bruchteil einer Sekunde verschlug es ihm die Sprache. Sie ließ ihren Blick wie zufällig über sein Gesicht wandern und sah dann mit der Gleichgültigkeit eines Fremden an ihm vorbei. Er hatte sich wieder gefaßt und wandte sich erneut seinem Begleiter zu. Er hatte sie erkannt. »Sehr gut«, dachte sie zufrieden, ließ den Schinken, die Eier und die Wärmeplatten mit den Omelettes links liegen, betrachtete interessiert eine prachtvolle, leuchtendrote tropische Blume, die als exotischer Farbtupfer das Büffet zierte und verließ den Goldenen-Lotus-Saa l.
    Ihre Gedanken weilten bereits bei Sheng Ti. Sie durchquerte zielstrebig die Hotelhalle und sah sich, auf der Straße angelangt, nach einem Taxi um.
    Während Mrs. Pollifax im Taxi durch die Straßen von Hongkong fuhr, kehrten ihre Gedanken zu Sheng Ti zurück, mit dem sie das Schicksal nun schon mehrere Male zusammengeführt hatte: Einmal im Bazar von Turfan, zum zweiten Mal in jener Nacht, als sie feststellte, daß auch der KGB in den Fall verwickelt war, und dann noch einmal in Urumtschi, als er am Straßenrand kauerte und mit der stoischen Geduld des Asiaten auf sie wartete. Sie würde nie vergessen, wie seine Augen aufleuchteten, als er sie endlich sah. Unbestreitbar hatte das kommunistische Regime wahre Wunder im Interesse der Mehrheit der nahezu einer Milliarde Einwohner Chinas bewirkt, doch Mrs. Pollifax hatte das Schicksal Sheng Tis immer als ein Beispiel für den Preis betrachtet, der für diese Wunder bezahlt werden mußte, denn Sheng Ti war... - sie versuchte sich den Eindruck, den der Junge auf sie gemacht hatte, wieder zu vergegenwärtigen ...
    Sheng Ti war anders gewesen, war von der Norm abgewichen: nicht nur weil seine Eltern reiche Bauern gewesen waren, sondern vor allem wegen der Folgen, die dieser Umstand für das Leben von Sheng Ti gehabt hatte: Im China Maos war ihm nie die Möglichkeit geboten worden, seine überdurchschnittliche Intelligenz nutzbringend und sinnvoll einzusetzen; vielmehr hatte man ihn im Alter von sechzehn Jahren in eine der ländlichen und fast mittelalterlich-primitiven Kommunen in Zentralchina verschickt, von der er nach drei Jahren geflohen war. Dafür war er in ein Arbeitslager, das noch weiter im Westen des riesigen Reiches lag, verbannt worden. Sechs Jahre lang arbeitete er in einer Straßenbaukolonne in der Nähe von Urumtschi, doch auch dort fiel es ihm schwer, sich einzuordnen, und seine Strafakte war über die Jahre hinweg immer dicker geworden, bis er schließlich zu einem ›hai fen‹, einem Außenseiter - ohne jegliche Hoffnung und Aussicht auf eine bessere Zukunft - gestempelt war, als den sie ihn kennengelernt hatte. Diese ungeheure Vergeudung menschlicher Kreativität, und die verzweifelte Auflehnung, mit der sich sein gesamtes Wesen gegen die Vernichtung seiner Talente und die Mißachtung seiner Intelligenz zur Wehr setzte, hatte sie tief betroffen gemacht.
    In Amerika wäre Sheng Ti sicherlich Anwalt oder Lehrer geworden - davon war Mrs. Pollifax überzeugt -, denn er besaß eine stark ausgeprägte Neugierde, und Mrs. Pollifax betrachtete Neugierde als einen untrüglichen Ausdruck von Intelligenz. Für Leute, die nie Fragen stellten, die niemals nach dem Warum oder Wie fragten, empfand sie Bedauern. In Maos China stellte man keine Fragen - man paßte sich entweder an, oder man wurde zum Außenseiter, zum Staatsfeind, deklariert.
    Sie selbst hatte damals darauf gedrängt, Sheng Ti gemeinsam mit Wang Shen aus China herauszuschmuggeln, und sie fragte sich nun, ob sie ihm damit einen guten Dienst erwiesen hatte falls er, wie Bishop angedeutet hatte, in Hongkong tatsächlich nicht glücklich war.
    Das Taxi hielt vor der Einmündung eines engen Seitengäßchens, und der Fahrer erklärte ihr, sie würde, wenn sie dem Gäßchen folgte, nach ein paar hundert Metern rechter Hand auf den Beginn der Dragon Alley stoßen. Mrs. Pollifax zahlte das Taxi, und als sie vom Trottoir zurücktrat und dem davonfahrenden Wagen nachblickte, fühlte sie eine Welle der Erregung, die ihr Herz bis zum Hals schlagen ließ. Das lärmende und hektische Leben um sie, das farbenfrohe Menschengewimmel in den schmalen gewundenen Gäßchen ließen keinen Zweifel zu:
    Sie war nach China zurückgekehrt; sie hatte es wiedergefunden, das Land, das sie so sehr liebte - hier, an einer Straßenecke der Altstadt von Hongkong, weit entfernt in Zeit und
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