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Ulysses Moore – Das Buch der Traumreisenden

Ulysses Moore – Das Buch der Traumreisenden

Titel: Ulysses Moore – Das Buch der Traumreisenden
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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lebhaften Augen, kurzem rötlichen Fell und einem ausgesprochen klugen Gesichtsausdruck.
    »Wahnsinn!«, flüsterte Anita ehrfürchtig.
    »Darf ich vorstellen: Ptolemäus.« Ihre Mutter deutete mit dem Zeigefinger auf ein Medaillon, das über dem runden Kopf des Tieres platziert worden war.
    Anita kicherte. »Was für ein seltsamer Name für einen Affen.«
    »Es ist der Name eines großen Reisenden«, erklärte ihre Mutter. »Ptolemäus war ein griechischer Gelehrter und einer der ersten europäischen Wissenschaftler, die versuchten, sich die Gestalt der Erde, der Meere und der Kontinente vorzustellen. Er zeichnete sie alle falsch, aber viele Jahrhunderte lang hielten die Menschen seine Abbildungen für wahrheitsgetreu.«
    Ohne nachzudenken, streckte Anita die Hand nach dem Porträt des Affen aus, doch ihre Mutter hielt sie zurück. »Nein, bitte nicht anfassen. Jede Berührung hinterlässt einen feinen Fettfilm, der nicht mehr wegzukriegen ist.«
    Anita öffnete den Mund, um zu protestieren, doch ihre Mutter kam ihr zuvor. »Auch wenn du dir gerade die Hände gewaschen hast.«
    Anita nickte. Dann fragte sie: »Was meinst du, warum hat Morice Moreau den Affen so gemalt?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Was macht er denn da, mit den erhobenen Armen?«, rätselte Anita.
    »Es sieht aus, als würde er die Decke stützen.«
    Anita schüttelte den Kopf. »Nein, dafür sind seine Hände zu weit von den Balken weg. Er macht irgendetwas anderes.«
    Sie sah dem gemalten Affen direkt in die Augen, als könne sie dadurch das Geheimnis seines seltsamen Blicks lüften. »Er sieht zufrieden aus, findest du nicht?«
    »Ja, vielleicht«, stimmte ihre Mutter ihr halbherzig zu.
    Anita überlegte laut. »Er hält mit den Armen irgendetwas hoch, das nicht zu sehen ist.«
    Mrs Bloom zuckte nur mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Aber ich denke, dass aus dir eine gute Kunstkritikerin werden könnte.« Sie schaltete die Taschenlampe wieder aus. »So … Du wolltest den Affen sehen, und das hast du. Jetzt wird es Zeit für deine Hausaufgaben.«
    Anita nickte.
    »Um hier wieder runterzukommen …«, begann ihre Mutter, aber ehe sie zu Ende sprechen konnte, hatte sich Anita schon geschickt an den Metallstangen nach unten gehangelt.
    »Ciao, Mama«, verabschiedete sie sich und fügte noch hinzu, bevor sie die Treppe hinunterlief: »Ciao, Ptolemäus.«
    Unten im Garten merkte Anita, dass der Kater schon wieder weg war.
    »Nein!«, rief sie wütend. Doch fast sofort entdeckte sie eine weiße Schwanzspitze. Wie sie schon geahnt hatte, erklomm ihr Kätzchen über die Glyzinienstämme und die Pergola die Mauer. Von dort aus sprang es aber nicht in den Nachbargarten, sondern kletterte am Regenrohr in Richtung Dach weiter.
    Oben bei der Dachrinne angelangt, schlüpfte Mioli durch ein Loch in genau den Raum, aus dem Anita und Tommaso ihn gestern Abend befreit hatten.
    »Habe ich dich also erwischt!«, schimpfte Anita leise und ging wieder ins Haus.
    Die Handtasche ihrer Mutter lag wie immer auf der ersten Treppenstufe. Nachdem Anita sich vergewissert hatte, dass ihre Mutter nicht in der Nähe war, öffnete sie die Schnalle und nahm den Schlüsselbund heraus. Anschließend schlich sie unbemerkt ins oberste Stockwerk.
    Heute fand Anita auf Anhieb den richtigen Schlüssel.
    Behutsam schob sie die Tür auf und blickte in einen großen, leeren Raum, dessen Fußboden zum Schutz vor Regen mit durchsichtigen Plastikplanen abgedeckt war. Er ging hinaus auf eine schmale, langgezogene Terrasse, von der aus man die Lagune und die Häuser auf der Giudecca sehen konnte.
    Mioli saß auf dem Dach, stolz und unbeweglich wie eine ägyptische Sphinx. Als er sein Frauchen auf sich zukommen sah, spitzte er nur leicht die Ohren.
    Langsam tastete sich Anita Schritt für Schritt vor. Von Morice Moreaus Atelier war wirklich nicht viel übrig geblieben. Die Balken waren versengt, die Wände von Ruß verfärbt und die Dielenbretter hatten große Löcher. Überall lagen Taubendreck und Federn, und es roch unangenehm nach Mäusekot.
    Dann sah Anita die Fresken unter der Rußschicht hindurchschimmern. Vorsichtig fuhr sie mit dem Finger über eines der Bilder und stutzte. Von der Wand blickte ihr ein Augenpaar entgegen, das ihr seltsam vertraut vorkam.
    Sie strich mit dem Finger wieder und wieder über die Stelle, obwohl sie den Protest ihrer Mutter beinahe hören konnte.
    »Ptolemäus«, flüsterte Anita, als die rußige Schicht fast ganz verschwunden
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