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Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)

Titel: Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Autoren: Ulrich Kienzle
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eindeckte. Da rief er über den Zaun: »Darf ich Ihnen ned a Mädle romschicka?« 11 Darauf rief Heuss zurück: »Des han i jetzt ned g’wisst, dass Sie au Leihmädle hend.« 12
(Beide lachen.)
    In Stuttgart gab es ja einen Machtwechsel – da tauchte der »Wutbürger« auf. Waren Sie überrascht?
    Mich hat es überrascht, aber nicht sonderlich. Weil ich auch fand, dass der Mappus das Problem Stuttgart 21 taktisch so miserabel gehandhabt hat. Auch wenn man weder grüner Ideologie anhing noch unbedingt den alten Bahnhof für einen doppelten Salto über den Gipfel der architektonischen Kunst hielt. Wenn Mappus das besser gemacht hätte – er hätte den Aufruhr schon im Vorfeld entschärfen können.
    War das ein politischer Betriebsunfall?
    Ich finde, es war überfällig.
    Eine demokratische Normalisierung?
    Es bot sich jetzt die Gelegenheit dazu an. In Baden-Württemberg war das ja fast wie in Japan, wo sie 50 Jahre keinen Wechsel hatten.
    Fast hätte es 1989 ja einen zweiten schwäbischen Bundeskanzler geben können. Aber Lothar Späth hat damals zurückgezogen.
    Helmut Kohl war ein gewiefter Machttaktiker. Ich war 1989 überzeugt, dass er nicht wiedergewählt würde. Aber dann kamen der Mauerfall und die Wiedervereinigung. Ohne die Wiedervereinigung wäre Kohl 1990 abgewählt worden.
    In der »Zeit« haben Sie kürzlich geschrieben: Ohne die Wiedervereinigung wäre er ein schwacher Kanzler gewesen.
    Ich war nie ein Kohl-Freund. Aber ich halte ihm zwei Dinge zugute: Erstens, dass er rasch zugegriffen hat, als sich die Chance zur Wiedervereinigung bot. Und zweitens, dass er nicht, als die Wiedervereinigung möglich wurde, gesagt hat: »Jetzt pfeife ich auf Europa, jetzt können wir wieder Deutschland machen.« Sondern er hat gesagt: »Jetzt erst recht Europa«. Herr Todenhöfer 13 hat ja damals erklärt: Um der Wiedervereinigung willen müssten wir auch aus der Europäischen Gemeinschaft austreten. So hieß die damals noch. Und jetzt rettet er Syrien, oder?
    Sie nennen sich ja jetzt Editor-at-Large. Das klingt unheimlich bedeutungsvoll. Können Sie mir erklären, was dieser monströse Titel bedeutet? »Auf der Flucht« – oder so ähnlich?
    Ich wollte den Titel nur für meine englischen Visitenkarten, aber dann ist er auf irgendeine Weise ins Impressum geraten. Wenn ich gefragt werde »Was heißt denn das?«, dann sage ich immer: »At large« heißt »auf freiem Fuß«. Ein »Ambassadorat-Large« ist ein Botschafter, der keine Botschaft leitet, aber diplomatische Aufträge ausführt. Ein »Criminal-at-Large« ist ein entsprungener Häftling. Und ein »Editor-at-Large« ist eine Mischung aus beidem.
(Beide lachen.)
    Sind Sie etwa ein »Suebian-at-Large«?
    Ich glaube, das wäre sogar ein sehr gutes Etikett. Ich fühle mich hier schon »at large«: weit entfernt. Und doch – bei aller geografischen, räumlichen Distanz – ist mir das Schwabenland im Herzen sehr nahe. Die Erinnerung ist höchst lebendig und manchmal verdichtet sie sich zur Sehnsucht: mal wieder so einen richtigen schwäbischen Rehbraten mit Spätzle und einer ordentlichen Soße!
    Schwäbische Gourmet-Erlebnisse?
    Ja. Und der Kartoffelsalat! Auf Hamburgisch heißt das, der muss sappschig sein. Auf Schwäbisch muss er schlunzig sein.
    Schlonzig!
(Beide lachen.)
    Most habe ich, glaube ich, seit 40 Jahren nicht mehr getrunken. Und aus so einem Viertelesglas, wenn es noch einen Henkel hat, einen schönen Trollinger oder Lemberger oder einen Stettener Pulvermächer zu schlotzen, ist für mich immer noch ein seliges Vergnügen.
    Also das Schwäbische ist schon noch da. Wobei mir der Gmünder Marktplatz, den ich als riesigen Platz in Erinnerung habe, heute wie ein kleiner Schlauch vorkommt. Und die Berge erscheinen mir plötzlich ziemlich gedrückt.
    Es ist alles etwas enger als in Norddeutschland?
    Es ist enger geworden, ja. Der Himmel ist nicht ganz so groß. Woll’n Sie noch einen – for the road? 14
    Noi, noi! Sonscht fend’ i mein’ Flieger nemme. 15
    Herr Kienzle, jetzt bin ich sehr gespannt auf Ihr Buch!
    1 Marion Gräfin Dönhoff war von 1968 bis 1972 Chefredakteurin und von 1973 bis zu ihrem Tod im Jahr 2002 Mitherausgeberin der »Zeit«. 1971 erhielt die Journalistin und Autorin den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
    2 »Was interessiert mich mein blödes Gerede von gestern?«
    3 Die Schenken von Stauffenberg sind ein schwäbisches Uradelsgeschlecht, das 1262 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Claus Schenk Graf von Stauffenberg
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