Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Überraschung kommt selten allein

Überraschung kommt selten allein

Titel: Überraschung kommt selten allein
Autoren: D Holt
Vom Netzwerk:
klug waren und gutes Essen liebten, vom Kochen nicht mehr verstanden als ein fünfjähriges Kind.
    Zurück im Esszimmer legte sie das Telefon auf die Anrichte und setzte sich wieder. Erleichtert stellte sie fest, dass inzwischen Lionel das Reden übernommen hatte.
    »Ich weiß, Tony wird vor Entsetzen aufheulen, aber meine Lieblingssängerin war immer Suzi Quatro.«
    Ericas Züge glätteten sich. »Das ehrt Sie«, sagte sie. »Vor ein paar Jahren bin ich mit Sadie bei einem Konzert von ihr gewesen. Sie ist eine Ikone für alle ernsthaften Feministinnen.«
    »Wenn ich ehrlich bin«, gab Lionel zu, »mochte ich einfach nur das Leder.«
    »Das Problem mit dir ist«, sagte Tony, »du hast seit Suzie Quatro keine andere Musik mehr gehört.«
    »Wenn du damit meinst, dass mir die Gruppen, die du managst«, erwiderte Lionel, »mit ihrer unverständlichen Musik und den unaussprechlichen Namen nicht gefallen, hast du völlig recht.«
    »Du gibst ihnen ja nicht einmal eine Chance«, protestierte Tony. »Die Kerne der Persephone sind spitze.«
    Tony und Lionel, das Zweigespann, waren jetzt voll in Fahrt. Gott sei gedankt für Tony und Lionel! Albertas Herzschlag beruhigte sich langsam. Wirklich lustig, dachte sie, als sie die beiden Männer betrachtete, wie unterschiedlich sie waren. Tony sah viel jünger als achtundvierzig aus. Seine blauen, von langen Wimpern eingerahmten Augen standen weit auseinander. Er war kleiner als sein Vater und schlank, mit zerzausten, blonden Haaren, die er jedes Mal mit den Fingern durchwühlte, wenn er angeregt diskutierte. Lionel war groß und rundlich mit einem glänzenden, eiförmigen Schädel und einer dröhnenden Stimme, die grundsätzlich nur Tatsachen verkündete. Er war eine fröhliche, optimistische Seele von Mensch, der an das grundsätzlich Gute im Menschen glaubte, während er all die Absurditäten um sich herum genoss. Tony hatte eine sanfte Stimme und war der bessere Zuhörer. Und er war ein Zyniker. Mit ein bisschen Glück landeten er und Lionel ganz bald bei der Politik und bestritten den Rest des Abends mit ihrer Unterhaltung.
    Eine Zeitlang schien es, als ginge ihr Wunsch in Erfüllung. Und dann, während der Schwarzwälder Kirschtorte, machte Graham einen fatalen Fehler. Er versuchte, in das Gespräch einzusteigen.
    »Was die Menschen regelmäßig vergessen«, sagte Lionel gerade, »ist, dass die europäischen Länder sich über Jahrhunderte immer bekriegt haben. Das ist dank der Europäischen Union vorbei. Deutschland wird genauso wenig in Frankreich einmarschieren wie wir in Italien. Manchmal denke ich, es gibt zu viel unnötigen Pessimismus über den Zustand der Welt im einundzwanzigsten Jahrhundert!«
    Das Telefon auf der Anrichte begann zu läuten, und Tony lehnte sich zurück, um den Anruf entgegenzunehmen. »Hallo?«, sagte er gut gelaunt, während er den Stuhl zurückschob. »Wir sind mitten beim …« Und dann, während er langsam aufstand: »Kannst du einen Augenblick warten?« Er nickte seinen Gästen vage zu. »Entschuldigung, aber ich muss kurz telefonieren. Es dauert nicht lange.« Er lächelte halb entschuldigend, halb defensiv in Albertas Richtung und verließ schnell den Raum.
    Graham räusperte sich. »Also ich für meinen Teil denke«, sagte er, »wir sollten anfangen, Frauen in Führungspositionen zu wählen. Das würde diesem Machogehabe ein Ende machen.«
    Alberta stöhnte innerlich. Es war offensichtlich, dass Graham von Ericas feuriger Persönlichkeit oder vielleicht auch von ihrer eng sitzenden Samthose fasziniert war und versuchte, Punkte bei ihr zu machen. Alberta warf Erica, die aussah wie eine Löwin, die gerade ein besonders schmackhaftes Gnu erspäht hatte, einen unsicheren Blick zu.
    »Glauben Sie das wirklich?«, fragte Erica. »Sind Sie sicher, dass Margaret Thatcher und Golda Meir, um nur zwei Beispiele zu nennen, sanfte, friedliebende Menschen waren?«
    Ein Karnickel, das den Kopf aus seinem Loch steckt und sich einem Traktor gegenübersieht, hätte kaum erschreckter aussehen können als Graham in diesem Augenblick. »Nein«, sagte er, »Grundgütiger, nein, sie waren stark, sie waren sehr, sehr stark.« Er rieb sich nervös die Schläfe. »Sie waren genauso stark wie jeder Mann.«
    Alberta sah die Katastrophe kommen und warf Evie einen vielsagenden, hilfesuchenden Blick zu, doch Evie betrachtete Erica mit dem gleichen Ausdruck, mit dem Jacob manchmal Alberta ansah: Wie ein Wissenschaftler, der eine besonders ungewöhnliche Bakterienkultur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher