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Ueber die Wupper

Ueber die Wupper

Titel: Ueber die Wupper
Autoren: Edgar Noske
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versprühte
feine Wassertröpfchen.
    »Oh!« Chico
verdrehte die Augen und kramte ein Päckchen Van Nelle aus der
Ablage. »Ein Scheißgig. Die Betonwände schlucken
sämtliche Vibes. Echt keine Akustik.«
    »Ich fand's
trotzdem gut. Drehst du mir eine mit?« Sie mußte niesen.
»Habt ihr vielleicht ein Handtuch oder so
was?«
    Max fand ein leidlich
sauberes und reichte es nach vorn. Curd drehte die Heizung
hoch.
    Nachdem das
Mädchen sich die Haare einigermaßen trockengerubbelt
hatte, fragte Chico: »Wie heißt du
eigentlich?«
    »Tanja.« Sie
gab das Handtuch zurück, nahm mit beiden Händen ihre
Haare hoch und steckte sie mit einer Spange fest. »Wohin fahrt
ihr?«
    »Nach
Wermelskirchen. Ins AJZ.« Chico leckte über die
Gummierung des Blättchens und reichte ihr die
Zigarette.
    »Spielt ihr
da?« fragte Tanja.
    Chico gab ihr Feuer.
»Letztes Heimspiel vor unserer Tour.
Interesse?«
    »Klar. Gibt's
denn noch Karten?«
    »Groupies haben
immer freien Eintritt«, sagte Chico zwinkernd und legte ihr
den Arm um die Schultern.
    Tanja verkrampfte
unter der Berührung. Ihr Gesicht wurde kleiner und noch
blasser, und der Mund mit den vollen Lippen verzerrte sich. Ein
Schatten legte sich über ihre Züge. Sie zitterte. Doch
das lag nicht an der Kälte.
    Max entfernte sanft
Chicos Arm und sagte: »Weißt du, Chico ist der
Adoptivneffe von Rod Stewart. Da sind solche Sprüche im Erbgut
verankert. Meint er nicht so.«
    Der Recorder setzte
wieder aus. Curd verpaßte ihm eins mit der
Faust.     
 
… where will it
end,
where will it end…
    Tanja sagte nichts,
verschränkte nur die Arme vor der Brust und rauchte hektisch
ein paar Züge. Dann drückte sie die halbgerauchte
Zigarette aus und legte die Hände auf die Knie. Alle
Fingernägel waren abgekaut und standen mit ihrer fransigen
Tristesse in seltsamem Kontrast zu den zahlreichen Ringen an den
schlanken Fingern. Max gab ihr einen freundschaftlichen Klaps auf
die Schulter und zog sich wieder auf seinen Platz zwischen der
Anlage zurück.
    Hübsch war sie
ja, die Kleine. Aber was sollte diese Überreaktion auf Chicos
Anmache und dieser verschreckte Blick? Zu verkrampft für ein
Mädchen, das Max auf siebzehn, achtzehn
schätzte.
    Max schloß die
Augen. Das Differential jaulte sein einsames Lied. Ohne noch einmal
an Irmgard zu denken, schlief er ein. Zwanzig Minuten später
rollte der Blitz am Bahndamm in Wermelskirchen aus.
    Es hatte
aufgehört zu regnen.

2       
 
… tonight the dragon
flies
tomorrow the world will die
tonight the dragon flies
tomorrow the world will die.
    Ein letzter
splitternder Akkord ertrank im aufbrandenden Beifallsgebrüll.
Einer der Beckenständer kippte vornüber, und Chicos
schartiges Paistebecken rollte bis an den Rand der flachen
Bühne. Einige Nimmersatte krakeelten nach einer dritten
Zugabe. Geblendet von der weißen Härte des plötzlich
aufflammenden Saallichts, beeilten sich Max, Chico und Curd, die
Garderobentür zu finden.
    *
    Die Garderobe: vier
fensterlose, mausgrau gestrichene Betonwände. Das Linoleum war
von Brandflecken übersät. Zwei Neonröhren
verbreiteten ein gemeines Licht. In der Ecke ein Karton voller
schwarzer T-Shirts mit dem Schriftzug der Band.
    »Gute Arbeit,
Jungs«, sagte Theo König, der den einzigen Stuhl belegte.
Für Mitte Vierzig war er recht gut in Form, nur sein
Sonnenstudioteint wirkte in dem kalten Licht, als habe er
Hepatitis.
    »Wer hat dich
denn hier reingelassen?« fragte Max, langte nach seinem
Handtuch, das auf der Bank lag, und wischte sich den Schweiß
aus Gesicht und Nacken.
    König stand auf,
stopfte die Hände in die Hosentaschen seiner Designerlederhose
und lächelte, als sei Wahlkampf und er der Kandidat. Blendend
weiße, briefmarkengroße Schneidezähne, zwischen
denen das unvermeidliche Zigarillo klemmte.
    »Ich muß
mich doch um meine Schäfchen kümmern«, sagte er,
wobei der Dannemann wippte.
    Max bündelte
seine langen braunen Haare, sicherte den Pferdeschwanz mit einem
Gummi und sah sich um. »Hier muß irgendwo noch 'ne Dose
Hannen stehen.«
    »Hier«,
sagte Curd und warf sie ihm zu.
    Max setzte sich auf
den Stuhl, streckte die Westernstiefel von sich und riß die
Dose auf. Warmes Bier schäumte heraus. Er nahm einen langen Zug und
wischte sich mit dem Handrücken über das Kinn. König
stand mitten im Raum, noch immer lächelnd. Der Schatten, den
er warf, entsprach seinem Format. Eins achtzig mal
breit.
    »So, so,
Schäfchen«, sagte Max und sein Blick wurde
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