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Über das Trinken

Über das Trinken

Titel: Über das Trinken
Autoren: Peter Richter
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besonders in sich. Man ist mit einer Promillezahl Auto gefahren, bei der weniger geübte Trinker nicht einmal mehr mit dem Schlüssel das Zündschloß treffen würden. Wie erklärt man, daß man soviel gewohnt ist, ohne daß sich dem Gutachter der Eindruck von Trinkroutinen vermittelt?
    Wer da nämlich angibt, daß bei ihm zum Abendbrot ein Bierchen gehört, kann anschließend direkt nach Hause gehen. Mit der Betonung auf: gehen.
    Genauso der, der es immer nur an den Wochenenden krachen läßt.
    Alles Regelmäßige, alle Muster bedeuten hier ein endgültiges Lebewohl für den Führerschein. Es ist ratsam, hier tief in der eigenen Historie zu wühlen. Was hat man eigentlich immer so getrunken, wo und wann und mit
wem und warum überhaupt  – und hat es eigentlich geschmeckt? So macht man sich das wenigstens nachträglich bewußt. Und wenn dann einer für die MPU seine Trinkgeschichte ein bißchen frisiert, die Muster zertrümmert, die trüben Trinkroutinen zu biographischen Hochphasen und Tiefen umordnet: Dann ist das ja vielleicht zumindest ein Anstoß zur Kurskorrektur. Ich glaube jedenfalls, die Gutachter honorieren manchmal schon die Einsicht.
    Wenn es gutgeht, kann man so eine MPU als läuternde Anstalt begreifen. Ein positives Gutachten kommt einer Wiedergeburt gleich. Man darf dann wieder. Man darf wieder fahren. Man darf sogar was trinken. Nur eben ab sofort immer nur noch eins von beidem.
    Aber wie stellt man sicher, daß sich diese beiden Sphären des täglichen Lebens tatsächlich nie wieder in die Quere kommen?
    Vielleicht schon mal damit, daß man beides nicht mehr als Sphären des Alltäglichen wahrnimmt, sondern als Ausnahmezustände. Das Fahren ist ein Rausch eigener Art. Der Mensch trinkt Alkohol, das Auto Kraftstoff, beides setzt im Inneren wundersame Verwandlungswirkungen frei. Das Auto ist genauso ein Genußmittel wie die Alkoholika, beglückend und gefährlich.
    Nun weiß natürlich auch ich, daß beides zusammengenommen die Gefahr exponentiell steigert  – die Beglükkung allerdings auch. Die englische Rockband »The Business«
jubelte schon vor Jahren: »Drinkin ’n’ Drivin is so much fun.« Ich kenne Leute, die der Ansicht sind, daß es nichts synästhetisch Sensationelleres gibt, als ein bißchen angeknallt und mit der richtigen Musik durch die Weinberge der Südsteiermark oder der Côte de Beaune zu kurven, wo ja die Straßen ihrerseits schon in gehörigen Schlangenlinien durch die Landschaft torkeln. Ich kenne sogar Leute, die der Meinung sind: Falls doch einmal ernsthaft etwas dazwischenkommen sollte dabei, ein Baum, eine Mauer, ein LKW, dann sei das immer noch besser, als ein paar Jahrzehnte später in einem Pflegeheim an Alterskrankheiten zu verenden, gegängelt von rabiaten Krankenschwestern, die einem auf den letzten Metern garantiert keine schöne Flasche mehr aufmachen; also nicht nur in Schmerz, Entmündigung und Schwäche, sondern zu allem Überfluß auch noch nüchtern …
    Aber ich kann dazu nur sagen, daß Gesetzgeber wie Verkehrspsychologen so etwas sicher zu Recht nur ungern hören.
    Es wäre im Sinne von Gesundheit, Führerschein und Gesetzestreue jedenfalls gescheiter, sich klarzumachen, daß das Autofahren nur noch halb soviel Spaß macht, wenn man zu betrunken ist, um die Feinheiten wahrzunehmen, die im Zusammenspiel von Motor, Design, Bewegung und Landschaft auf einen einnadeln. Und daß es auch den Spaß am Betrunkensein im Grunde eher dämpft, wenn man sich mit brummendem Kopf auf den
Verkehr konzentrieren muß  – und darauf, immer exakt zehn km/h zu schnell zu fahren, damit man der Polizei nicht auffällt.
    Aber die guten Vorsätze sind am Anfang immer gewaltig. Die Rückfallzahlen am Ende allerdings auch.
    Dafür werden in den MPU-Lehrgängen eine Reihe von Vermeidungsstrategien entwickelt. Eine von ihnen läuft darauf hinaus, gar kein Fahrzeug dabeizuhaben, wenn getrunken wird. Das erfordert allerdings logistische Vorplanung. Wenn sich das Trinken aber zufällig ergibt, während draußen das Auto wartet: Dann ist das zwar ziemlich genau nicht das, was die Gutachter im Sinn hatten, als sie ihr O. K. gegeben haben. Dann kommt es aber umso mehr darauf an, nicht in diesen fatalen Zustand zu geraten, in dem man denkt, man könne sehr wohl noch fahren. Meistens ist das der Fall, wenn man aus dem Lokal auf die Straße tritt und die gute Stimmung hinter sich zurückläßt, wenn die frische Luft ernüchternd wirkt und einem allmählich ins Bewußtsein flutet, wie
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