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Typisch Helmut Schmidt: Neue kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)

Typisch Helmut Schmidt: Neue kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)

Titel: Typisch Helmut Schmidt: Neue kleine Geschichten über einen großen Mann (German Edition)
Autoren: Jost Kaiser
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führt 1978 zu einer erheblichen Verschärfung der Zugangskontrollen von Journalisten zum Kanzler.
    Wohl fühlte sich Wackernagel auf der Imperialisten-Party trotz des Coups mit der Kamera und trotz exzellenter Schaumweinversorgung nicht – er aß nur ein Paar Faschistenwürstchen: »Die haben ja alle bis zum Umfallen gesoffen. Ich war ja eher Kiffer.«

 
    Als Helmut Schmidt einmal …
    … zur Waffe griff
    Die Kabinettssitzungen im Juli 1978 sind für alle Beteiligten eine anstrengende Sache. Das sind sie nat ürlich grundsätzlich, weil der Kanzler das Aktenstudium liebt und sich einen Jux daraus macht, mindestens genauso gut informiert zu sein wie die für die Ressorts zuständigen Minister, wodurch die Sitzungen für die Vortragenden zu Schulstunden werden – Oberstudienrat Schmidt fragt ab.
    Aber in jenem Juli sind die Ministertreffen darüber hinaus sehr enervierend. Erstens steht Mitte des Monats der Weltwirtschaftsgipfel in Bonn an – da kommen Männer nach Bonn, denen Schmidt – bei aller Liebe zu wichtigen Ressorts wie jenem für das Post- und Fernmeldewesen – aufmerksamer zuhört als etwa Kurt Gscheidle. Zum Beispiel Giscard d’Estaing oder der kanadische Ministerpräsident Trudeau.
    Im Sommer 1978 kommt noch dazu, dass die FDP ihre angestammte Rolle nicht angemessen ausfüllt: Sie zickt. Die Liberalen wollen die Steuern senken, um Schmidt, der gerade den Höhepunkt seiner Beliebtheit erreicht hat, Paroli zu bieten.
    Und weil der Kanzler dem Mann mit den großen Ohren im Augenblick wohlgesinnt ist, bekommt Genscher seine Tarifsenkungen im Wert von 15 Milliarden Mark. Eine besonders harte Nuss ist die Lohnsummensteuer. Obwohl aufgerundete 100 Prozent der Bundesbürger wohl noch nie etwas davon gehört haben, wird im Kabinett auch diese Steuer ausgiebigst besprochen und verhandelt.
    Und Schmidt denkt während des mehrtägigen Verhandlungsmarathons nicht daran, Einzelheiten anderen zu überlassen – schließlich war er selber mal Finanz- und Wirtschaftsminister. Er macht sich Notizen, fragt nach und wirft mit Zahlen um sich. Ohne jemals zu ermüden, wird er nach der Sitzungsorgie sagen: »Sie finden mich in einem heiteren Gemütszustand.«
    Nicht alle sind in einem heiteren Gemütszustand. Landwirtschaftsminister Ertl, ein dicker Bayer, der schon qua Herkunft nichts mit Schmidts schnupftabakgestärkter protestantischer Ethik anfangen kann und sich nachts sicher Angenehmeres vorstellen kann, als über die Lohnsummensteuer zu verhandeln, kritzelt in einer der späten Sitzungen ein subversives Kunstwerk aufs Regierungspapier. Es zeigt Schmidt als Cowboy, der seine Minister mit Waffengewalt in Schach hält. Titel des Ertl-Kunstwerkes: »Kabinett – 0 Uhr«.

 
    Als Helmut Schmidt wieder einmal …
    … ein düsteres Bild der USA malte
    Helmut Schmidt ist durchaus jemand, der um die Gefahren weiß, denen die deutsche Seele ständig ausgesetzt ist. Nicht umsonst sagt er in seiner Abschiedsrede im Bundestag: »Die Deutschen bleiben ein gefährdetes Volk, das der Führung bedarf.« Natürlich durch ihn.
    Und wenn das nicht geht, dann eben mit zweitklassigem Personal.
    Eine dieser Gefahren für die deutsche Seele, von denen Schmidt spricht, heißt: Antiamerikanismus. Schmidt ist in der erfreulichen Situation, das unangenehme Phänomen ersetzt zu haben. Er darf als Erfinder des Anti-Carterismus gelten: Seit der Erdnussfarmer im Weißen Haus regiert, braucht Schmidt keinen Antiamerikanismus mehr; die innige Abneigung gegen Carter reicht ihm.
    Doch aus der Psychoanalyse wissen wir: Was drin ist im Menschen, muss irgendwann raus.
    Aber auch hier ist Schmidt im Vorteil. Denn anders als beispielsweise die von ihm verachtete Jugend, die ihre Einstellung zu Amerika schon seit Längerem durch das Verbrennen der Stars and Stripes, durch »USA-SA-SS«-Plakate und durch tränengasgetränkte Begrüßungsrituale für amerikanische Präsidenten zum Ausdruck bringt, hat der kunstsinnige Schmidt andere Mittel, um seinem Unterbewusstsein Erleichterung zu verschaffen: Er malt. Mit japanischer Kreide.
    Im Sommer 1979 ist er wieder mal in seinem Wochenendhaus am Brahmsee. Was er mitbringt, ist nicht nur Optimismus in Bezug auf seinen eigenen Sprengel, Deutschland, sondern auch Pessimismus in Bezug auf die westliche Führungsmacht, was ja nichts Neues ist, seit Jimmy Carter als Ober-Ami amtiert.
    Dem Spiegel zeigt der Kanzler eines seiner Bilder, das in düstersten Farben gehalten ist: einem tiefen Blau, einem schwarzen
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