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Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Turner 02 - Dunkle Vergeltung

Titel: Turner 02 - Dunkle Vergeltung
Autoren: Heyne
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beobachtete, wie er am Rand entlanglief.
    »Es gibt so vieles, das ich vermissen werde«, sagte sie. »Was den Job betrifft, meine ich - der Rest versteht sich von selbst.«
    »Etwas zurückgeben, etwas bewirken und verändern, eine Triebkraft sein für gute …«
    »Gewinnen. Recht haben.«
    Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Ich nippte an meinem Wein. Sie genoss die Vorfreude auf ihren.
    »Es macht mir Angst, dass es letzten Endes genau das
ist, worauf es so oft hinausläuft. Auch deshalb muss ich einen Schlusspunkt setzen. Zumindest vorläufig. Bei allem, was ich getan habe, habe ich zunächst versucht herauszufinden, wie ich über die Runden komme. Es nicht zu einem einzigen Chaos werden zu lassen. Und bevor ich mich versehe, bin ich dann immer mit großem Ernst bei der Sache. Was immer es ist - Murmeln zu sammeln, Zäune zu reparieren, spielt überhaupt keine Rolle -, und ich versuche, alle Punkte zu verbinden, versuche, Dinge zu verändern, verleihe diesen Murmeln und Zaunbrettern eine Bedeutung, einen Sinn. Ich verwandle diese scheißblöden Murmeln in komplette runde Welten.«
    Sie blickte wieder auf den Marienkäfer, der inzwischen bei seiner dritten oder vierten Runde war.
    »Die Franzosen nennen sie bêtes à bon dieu «, sagte sie. »Was für ein süßer, hübscher Name.«
    »Für ein so kleines und unbedeutendes Ding.«
    »Genau.« Sie blickte zu den Bäumen hinüber. »Die Musik wird genauso sein. Das weiß ich.«
    Und dann: »Die Erfinder der alten Mythen haben sich geirrt, Turner. Es ist kein Kampf zwischen Gut und Böse. Es ist ein unergründlicher Krieg zwischen Technokraten einerseits, die nur Augen für den reibungslosen Ablauf haben, und den Visionären andererseits, die etwas vollkommen anderes sehen. Und ich war nie wirklich in der Lage zu entscheiden -«
    » Which side are you on, boys, which side are you on, boys? « Noch so ein alter Song.
    »Genau.«

    »Wir sitzen alle zwischen den Stühlen, Val.«
    »Weswegen dies der Stoff für Mythen ist.«
    Sie legte ein Bein über den Stuhl und drehte sich zu mir. Der Stuhl drohte ernsthaft in die Brüche zu gehen, der Zwirn, der alles zusammenhielt, war kurz davor zu bersten.
    »Es gibt da eine kleine Geschichte, die ich sehr liebe, und ich glaube nicht, dass ich sie dir schon mal erzählt habe. Vor einigen Jahren gab Itzhak Perlman ein Konzert in der Avery Fisher Hall, und bei so einem großen künstlerischen Ereignis wie diesem war der Saal natürlich gerammelt voll. Er humpelt auf die Bühne, legt seine Krücken beiseite und nimmt seinen Platz ein. Das Orchester beginnt, wird leiser für seinen Einsatz, und als er die dritte oder vierte Note spielt, reißt eine Saite. Es hallt wie ein Schuss. Und alle denken: Okay, das war’s! Aber Perlman gibt dem Dirigenten nur ruhig das Zeichen, von neuem zu beginnen - und dann spielt er das komplette Konzert auf drei Saiten. Man meint fast sehen zu können, wie er das Stück in seinem Kopf neu denkt, während er spielt, es neu einrichtet und umarbeitet. Und das macht er ohne einen einzigen Fehler. ›Wissen Sie‹, sagt er hinterher, ›manchmal ist es die Aufgabe des Künstlers, herauszufinden, wie viel Musik man immer noch machen kann mit den Mitteln, die einem bleiben.‹«
    Lächelnd nahm sie ihr Glas und hob es an die Lippen. Ich schaute hinüber, als die Flügel eines Vogels, der sich in die Lüfte aufschwang, das Sonnenlicht einfingen.

    Nach dem Schuss wurde mir bewusst, dass es schon eine ganze Weile still gewesen war.
    Nachtvögel, Frösche, keiner von ihnen rief. Und das war mir entgangen.
    Das Geräusch des splitternden Glases kam kurz nach dem Schuss. Val saß gerade auf dem Stuhl, ihr Mund öffnete sich zwei Mal, als wolle sie etwas sagen. Dann sackte sie zusammen. Ich ging zu ihr und rechnete jeden Moment mit einem zweiten Schuss. Während ich sie in meinen Armen hielt, zeigte sie auf den Wein, der langsam über die Bodenbretter floss. Dann kam der zweite Schuss - allerdings aus einer Schrotflinte, nicht aus einem Gewehr.
    Nathan trat auf die Lichtung, während er noch im Gehen aus lebenslanger Gewohnheit die leeren Patronenhülsen auswarf und sie ersetzte. Augenblicke später war er da und legte Val auf den Boden. Wir hatten beide schon genug Schießereien erlebt, um zu wissen, was zu tun war.
    Später erfuhr ich, dass Nathan nicht nur ein Auge auf die Kids oben im Camp gehabt hatte. Er war eingetroffen, unmittelbar nachdem der Mann seinen ersten Schuss abgefeuert hatte und sich auf den
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