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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen
Autoren: Martin Cruz Smith
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denn?«
    »Sie standen ihm nahe, Sie müssten es besser wissen als ich. Ist hier etwas anders als sonst?«
    »Nicht dass ich wüsste. Pascha hat uns nicht reingelassen. Rina und ich waren seit einem Monat nicht mehr in der Wohnung. Angenommen, Sie ermitteln, wonach würden Sie suchen?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    Viktor befühlte den Ärmel von Hoffmans Jacke. »Edles Wildleder. Muss eine Stange Geld gekostet haben.«
    »Die gehörte Pascha. Ich habe sie mal bewundert, als er sie trug, da hat er sie mir förmlich aufgedrängt. Natürlich besitzt er viele andere, trotzdem, er war großzügig.«
    »Wie viele Jacken hat er?«, fragte Arkadi.
    »Zwanzig, mindestens.«
    »Und Anzüge, Schuhe und Tennisklamotten?«
    »Selbstverständlich.«
    »Ich habe im Schlafzimmer einen Kleiderhaufen gesehen, aber keinen Schrank.«
    »Ich zeige Ihnen, wo er ist«, sagte Rina. Arkadi wusste nicht, wie lange das Mädchen schon hinter Viktor stand. »Ich habe die Wohnung nämlich eingerichtet.«
    »Es ist eine sehr schöne Wohnung«, entgegnete Arkadi.
    Rina sah ihn prüfend an, suchte nach Anzeichen von Herablassung, dann drehte sie sich um und ging auf wackligen Beinen, eine Hand an der Wand, in Iwanows Schlafzimmer. Arkadi bemerkte keinen Unterschied zu vorhin, bis Rina gegen ein Wandpaneel drückte, das mit einem schnappenden Geräusch aufschwang und den Blick auf einen begehbaren, hell erleuchteten Wandschrank freigab. Links hingen Anzüge, rechts Hosen und Sakkos, manche neu und noch in Einkaufstüten mit komplizierten italienischen Namen. Krawatten baumelten an einem Messingkarussell. Hemden und Unterwäsche waren in eingebauten Schubfächern, Schuhe in Regalen untergebracht. Die Stoffe reichten von noblem Kaschmir für den Winter bis zu saloppem Leinen für den Sommer, und alles im Schrank befand sich in tadellosem Zustand. Nur der große Ankleidespiegel hatte einen Sprung, und eine dicke Schicht glitzernder Kristalle bedeckte den Boden.
    »Was ist denn das?« Staatsanwalt Surin trat zu ihnen.
    Arkadi leckte einen Finger an und führte ein paar Körner an seine Zunge. »Salz. Tafelsalz.« Nach seiner Schätzung waren mindestens fünfzig Kilo auf dem Boden verschüttet. Die Schicht war leicht gewölbt und wies oben zwei schwache Abdrücke auf.
    »Ein Zeichen geistiger Verwirrung«, befand Surin. »Dafür gibt es keine vernünftige Erklärung. Das war das Werk eines verzweifelten Lebensmüden. Sonst noch was, Renko?«
    »Auf dem Fensterbrett ist ebenfalls Salz.«
    »Noch mehr Salz? Armer Teufel. Weiß der Himmel, was er sich dabei gedacht hat.«
    »Was glauben Sie?«, fragte Hoffman Arkadi.
    »Selbstmord«, sagte Timofejew vom Flur gedämpft hinter seinem Taschentuch hervor.
    »Hauptsache, er ist tot!«, rief Viktor laut und deutlich.
    »Meine Mutter hat ihre gesamten Ersparnisse in einen seiner Fonds gesteckt. Er hatte hundert Prozent Verzinsung in hundert Tagen versprochen. Sie hat alles verloren, und er ist zum >Neurussen des Jahres< gekürt worden. Wenn er jetzt hier und am Leben wäre, würde ich Hackfleisch aus ihm machen.«
    Das würde das Problem lösen, dachte Arkadi.
    Als Arkadi die NoviRus-Akten mit einem Sackkarren ins Büro des Staatsanwalts geschafft hatte und nach Hause fuhr, war es zwei Uhr morgens.
    Sein Wohnhaus war kein Glasturm, der in der Skyline glitzerte, sondern ein Steinhaufen neben dem Gartenring, der aussah, als hätten verschiedene sowjetische Architekten mit Scheuklappen an seinem Entwurf gearbeitet. Wie sonst hätten sie ein Haus mit Strebebogen, römischen Säulen und maurischen Fenstern bauen können? Der Putz war teilweise abgebröckelt, und an manchen Stellen sprossen Gräser und schlanke, vom Wind gesäte Linden aus dem Mauerwerk, doch die Wohnungen selbst besaßen hohe Decken und Flügelfenster. Allerdings blickte Arkadi nicht auf schnittig vorbeigleitende Luxuskarossen, sondern auf einen Hinterhof mit Wellblechgaragen, an denen Vorhängeschlösser baumelten, über die der abgeschnittene Boden einer Limonadenflasche aus Plastik gestülpt war.
    Herr und Frau Rajapakse, seine Etagennachbarn, kamen ungeachtet der späten Stunde mit Keksen, hart gekochten Eier und Tee herüber. Sie waren Universitätsdozenten aus Sri Lanka, ein kleines dunkles Paar mit feinen Manieren.
    »Es macht keine Umstände«, sagte Herr Rajapakse. »Sie sind unser bester Freund in Moskau. Wissen Sie, was Gandhi geantwortet hat, als man ihn fragte: Was denken Sie über westliche Kultur? Gandhi hat geantwortet: Das wäre eine
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