Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traveblut

Traveblut

Titel: Traveblut
Autoren: Jobst Schlennstedt
Vom Netzwerk:
der hagerere der beiden Männer mit einem Mal so laut, dass Andresen notgedrungen zuhören musste. »Als wenn das so schlimm wäre. Ich geh doch nicht in den Puff.«
    »Geht mir genauso. Heute Abend hat sie auch wieder Theater gemacht. Dabei weiß sie ganz genau, dass ich mit dir im Buthmanns bin.«
    Andresen hatte Probleme, sich auf seine Zeitung zu konzentrieren. Die Situation der beiden Männer kam ihm vertraut vor. In letzter Zeit hatte er diese Diskussionen mit Wiebke häufig geführt, wenn er erst spätabends aus dem Büro nach Hause gekommen war oder noch ein Feierabendbier im Buthmanns getrunken hatte. Oder mit Ida-Marie im Kino gewesen war, dachte er zerknirscht.
    Was ihm noch mehr zu denken gab, war die Tatsache, dass er Wiebke nicht zurückgerufen hatte und stattdessen hier seinen Abend verbrachte. Was genau wollte er eigentlich? Wusste er das überhaupt?
    Ja, natürlich tat er das, rief er sich zur Raison. Er beschloss, nach Hause zu gehen und Wiebke anzurufen. Noch war es früh genug. Sie würde bestimmt noch nicht schlafen.
    »Ein Bier und einen Kurzen für alle geplagten Männer!«, rief der Hagere plötzlich. »Komm, trink mit uns!«
    Andresen hatte keine Chance zu protestieren. Ehe er sich's versah, stieß er mit seinen beiden Tischnachbarn an.

6

    Hastig nahm sie den Beutel aus dem Wasser und warf ihn in den Biomüll. Der Schwarztee hatte lange genug gezogen. Sie war in Eile, die Küchenuhr zeigte an, dass es bereits Viertel nach sieben war. Um halb acht musste sie spätestens los. Und vorher wollte sie noch frühstücken und ein paar Unterlagen kopieren.
    Sie löffelte rasch ihr Müsli fertig und blickte kurz in die Tageszeitung. Der Bote hatte sie gerade erst durch den Briefschlitz geworfen.
    Während sie flüchtig den Lokalteil aufschlug und ihre Brille zurechtschob, nippte sie an ihrer Teetasse. Sie las ein paar Schlagzeilen und blätterte weiter. Als sie fertig war, faltete sie die Zeitung zusammen und legte sie vor sich auf den Tisch. Die Titelseite brachte eine Story über einen Polizeieinsatz.
    Im nächsten Augenblick glitt ihr die Tasse aus der Hand. Sie zerbarst in tausend Splitter, der heiße Tee verteilte sich auf dem Boden und auf ihrem Pyjama. Sie spürte, dass sie sich den Oberschenkel verbrüht hatte, doch Schmerzen konnte sie in diesem Moment nicht empfinden.
    Obwohl sie lediglich die Überschrift und die ersten Sätze des Artikels gelesen hatte, wusste sie sofort, was das Ganze zu bedeuten hatte. Sie hatte schon beim ersten Mal in der vergangenen Woche ein komisches Gefühl gehabt, aber jetzt war es klar und eindeutig.
    Er hatte tatsächlich Ernst gemacht. Seine leisen Drohungen von damals klangen ihr plötzlich im Ohr. Es hatte sich lange angekündigt, jetzt hatte es sich bewahrheitet. Er war verrückt geworden. Sie hatte keinen Zweifel mehr daran, dass er der Täter war. Aber was sollte sie jetzt tun? Darauf warten, bis sie an der Reihe war? Wie lange würde er sein Spielchen treiben wollen?
    Natürlich wusste sie, dass sie eine Teilschuld an der ganzen Situation trug. Das hatte sie nie bestritten. Aber es war immerhin auch eine lange Zeit seither vergangen. Und schließlich hatte sie selbst genug gelitten. Irgendwer musste ihn jetzt stoppen. Nur wen gab es noch, der von all dem, was passiert war, wusste? Zwei von ihnen waren tot. Es blieb also nur sie selbst übrig. Sie musste mit ihm reden, wenn sie verhindern wollte, dass sie das nächste Opfer würde. Aber konnte das überhaupt zu etwas führen? Mit ihm reden. Was, wenn nicht? Gab es eine andere Möglichkeit, ihn aufzuhalten?
    Sie blickte wieder auf die Uhr. Fünf vor halb acht. Sie musste los, andernfalls käme sie zu spät. Notdürftig schob sie die größten Scherben mit einem Besen zusammen und sammelte sie auf. Anschließend lief sie ins Schlafzimmer, zog den Pyjama aus und schlüpfte hastig in ihre Kleidung. Eine schnelle Katzenwäsche, Zähne putzen, das musste genügen. Die Schmerzen am Oberschenkel nahm sie noch immer nicht wahr. Stattdessen spürte sie, dass die Angst, die sie verdrängt geglaubt hatte, langsam zurückkehrte.

7

    Weshalb nur hatte er nicht Nein sagen können? Er hätte doch einfach gehen können. Seine Biere bezahlen und sich zu Hause aufs Ohr legen. Stattdessen hatte er immer und immer wieder mit Bruno und Schorsch angestoßen. Mal auf die Männer, mal auf die Frauen, meistens jedoch auf das Leben an sich.
    Jetzt musste Andresen mit den Konsequenzen leben. Er kauerte in seinem Bürostuhl und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher