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Traumreisende

Traumreisende

Titel: Traumreisende
Autoren: Marlo Morgan
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nichts, was Birdie Willett nicht bewältigen kann.«
    Seit vierzig Jahren baute die Kirche Missionsstationen auf, um die erwachsenen Aborigines, die man aus der Wildnis geholt hatte, dort unterzubringen, zu zivilisieren, zu erziehen und ihre Seelen zu retten. Die Katholiken hatten auch Waisenhäuser für die Kinder errichtet. Inzwischen gab es einige erwachsene Aborigines, die in institutionellen Einrichtungen aufgezogen und dann nach Erreichen des sechzehnten Lebensjahrs in die Gesellschaft entlassen worden waren. Bislang gab es keine Anzeichen dafür, dass das Projekt irgendwelche sozialen Erfolge erzielt hätte - außer im biblischen Sinne, indem es die Hungrigen speiste und den Durstigen Wasser gab. Doch auch wenn sie älter als sechzehn waren, waren die Aborigines noch hungrig und durstig und wandten sich für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse an die weiße Gemeinde. Niemand konnte vorhersagen, wann das zu Ende gehen würde, wann der letzte der Wilden für die Zivilisation gewonnen sein würde, wann ihre heidnischen Bräuche besiegt und auf wundersame Weise eine gewisse Kontrolle über die Bevölkerung erreicht sein würde. Der Anruf endete damit, dass Birdie sich bereit erklärte, einen Platz für das Kind zu suchen.
    Alice ging zur Tür und schwenkte die Arme: »Geht Alex holen«, rief sie in die schwarze Nacht hinein. Sie wusste, dass irgendeiner der Gefangenen, der einen guten Eindruck machen wollte, freudig die Gelegenheit ergreifen würde, sich bei ihr beliebt zu machen. Welcher, spielte keine Rolle. Ein oder zwei lungerten immer außerhalb ihres Zauns herum. Kurz darauf klopfte Alex an die Küchentür. Er war dünn, sah älter aus als seine sechzig Jahre und machte immer den Eindruck, ein Bad nötig zu haben. Alice berichtete ihm von ihrem Plan. Er willigte ein, sich eine Stunde auszuruhen und dann die lange Fahrt nach Sydney anzutreten. Alice bereitete einen Glaskrug mit Honigwasser zu. Dann nahm sie ein Babyfläschchen, das man kürzlich aufgetrieben hatte, um das Leben eines todkranken Känguruhjungen zu retten, und fütterte die Zwillinge damit, bevor sie den Korb und den Karton auf die Vorderbank des Fords packte, dessen Notsitz zur Ladefläche umgebaut worden war.
    Alex war ein ehemaliger Sträfling, wie auch schon sein Vater und sein Großvater. Als er aus dem Gefängnis entlassen worden war, nachdem er achtzehn Jahre wegen Diebstahls abgesessen hatte, war er heimatlos gewesen, hatte keinen Beruf und keine Freunde oder Verwandten gehabt, an die er sich hätte wenden können. Er war in Schwierigkeiten geraten, weil er zuviel trank, in Schlägereien verwickelt wurde und ständig in Versuchung geraten war, die Geldkassette in den Tavernen und Kneipen mitgehen zu lassen, die er besuchte.
    Dann fand er den Herrn, oder zumindest fand er Menschen, die ihrerseits den Herrn gefunden hatten. Anscheinend gab er die richtigen Antworten auf ihre Fragen, denn sie boten ihm an, ihn aufzunehmen und eine Arbeit für ihn zu suchen. Mitten im Nirgendwo, als die Mission einen Fahrer brauchte, schien er eine gute Lösung zu sein, und sei es nur vorübergehend. Auf seinen Fahrten in die Stadt kaufte er sich Whisky, trank aber niemals in der Öffentlichkeit. Soweit ging alles gut. Mit den beiden Babys im Wagen, dem Mädchen für das Waisenhaus im Karton, dem Jungen für die Stadt repräsentativer in dem Korb, trat Alex die achtstündige Fahrt an. Ungefähr einen Kilometer vom Lager entfernt hielt er an, um sich Schafswolle in beide Ohren zu stopfen. Obwohl die Säuglinge schliefen, rechnete er mit einer geräuschvollen Fahrt.
    Er griff unter den Sitz, nahm aus der Dunkelheit eine Flasche, trank ein paar herzhafte Schlucke und stellte sie dann zwischen sich und die kleinen Menschenkinder. Er fuhr auf der einspurigen und teilweise gepflasterten Straße durch das kahle Ödland. Er wusste, Veränderungen der Luftströmung würden bewirken, dass der Wind durch die Wagenfenster auf der rechten Seite drang. Dann würde kein Luftzug mehr wehen, und ein paar Meilen weiter würde der Wind durch die linken Fenster blasen. Es war, als ob die unsichtbare Welt die Insassen des Wagens umgäbe. Alles war still bis auf das Brummen des Motors. Die Schwärze der Nacht wurde nur von einem Wirbel aus feinem rotem Staub gestört, der dem Auto wie ein sich drehender Kinderkreisel folgte. Die Wolken am Himmel waren schneller als das Fahrzeug auf der Erde. Wenn gelegentlich eine dunkle Wolke den Mond verdeckte, die einzige Lichtquelle in der
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