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Transzendenz

Transzendenz

Titel: Transzendenz
Autoren: authors_sort
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vielleicht lange nach meinem Tod geschehen würden, schien mir von monströser Arroganz zu zeugen. Woher sollte ich wissen, was das Beste war? Und selbst wenn ich es wüsste, würde ich meinem Sohn damit nicht die Entscheidungsfreiheit rauben, die Fähigkeit, sein Leben so zu führen, wie er es wünschte?
    Man musste loslassen, dachte ich. Man musste seinen Kindern erlauben, ihre eigenen Fehler zu machen. Alles andere grenzte an Wahnsinn und hatte nichts mit Liebe zu tun.
    Ich brauchte es nicht auszusprechen. Während ich diese Gedanken formulierte, ließ ich den Blick über den Himmelsgeist der Transzendenz schweifen. Dort gab es eine Veränderung, dachte ich. Die winzigen Bewusstseinspunkte wirbelten in engen, zornigen Knoten, und riesige Riffs der Weisheit tauchten aus dem Dunkeln auf wie Eisberge auf einem nächtlichen Ozean. Ich hatte der Transzendenz mit meiner Entscheidung also Probleme bereit. Vielleicht bedeutete das, dass es die richtige war.
    Auf irgendeiner Ebene musste die Transzendenz es bereits gewusst haben, dachte ich. Ich war nur ein Hebel, mit dessen Hilfe sie sich wieder gesund machte. Aber das hieß nicht, dass sie darüber glücklich war. Oder dankbar dafür.
    »Michael Poole«, zischte Leropa. »Wenn die Erlösung aufgegeben wird, verlierst du Morag für immer. Das weißt du, nicht wahr?«
    Ich wich vor diesem persönlichen Angriff zurück. So viel zu den hehren Zielen der Transzendenz, dachte ich; so viel zu übermenschlicher Liebe. »Aber ich habe sie doch schon verloren«, erwiderte ich. »Nichts, was die Transzendenz tun kann, wird daran etwas ändern. Es gehört wohl zum menschlichen Dasein. Ebenso wie das Loslassen.«
    »Loslassen?«
    »Die Vergangenheit, die Toten. Die Zukunft, das Schicksal eurer Kinder. So viel weiß sogar ein Erz-Instrumentalist wie ich.«
    Leropa lachte. »Vergibst du der Transzendenz, Michael Poole?«
    »Dazu habt ihr mich doch hierher gebracht.«
    »Adieu, Michael Poole«, sagte Leropa. »Wir werden uns nicht wiedersehen.«
    Plötzlich war es vorbei, und ich wusste es. Ich suchte nach Morag. Vielleicht war noch eine Spur von ihr übrig, aber sie entfernte sich von mir, als falle sie in einen Brunnenschacht; ihr Gesicht wurde kleiner, ihr Blick war noch immer auf mich gerichtet.
    Und dann wirbelten die Sterne bösartig um mich herum – einen Moment lang wehrte ich mich im sehnsüchtigen Wunsch, bleiben zu können –, aber ich wurde vom Schmerz einer unerwünschten Wiedergeburt verschlungen, und ein großer Druck stieß mich hinaus.

 
59
     
     
    Die sechs versammelten sich in der Konurbation 11.729: Alia, Drea, Reath und die drei Campocs, Bale, Denh und Seer. Unter dem mächtigen, strahlend blauen Tetraeder-Gewölbe der uralten Kathedrale gingen die Unsterblichen ihrer einsamen Wege. Einige von ihnen murmelten vor sich hin, setzten ihre lebenslangen Monologe fort, aber die Ältesten sprachen überhaupt nicht.
    Selbst jetzt spürte Alia die Präsenz der Transzendenz in ihr und um sie herum. Und sie spürte ihren Aufruhr; es war, als balle sich ein Sturm zusammen, als zögen gewaltige Energien in einem Himmel weit über ihr auf.
    Campoc Bale zog Alia beiseite. Sie nahm noch immer schwach das erweiterte Bewusstsein wahr, das sie mit seiner Familie teilte, wie eine begrenzte, eigene Transzendenz. Und ihn umgab noch immer diese exotische Aura des Fremden, des anderen, die ihrem Liebesakt so viel Würze gegeben hatte.
    »Wir wollten nicht, dass deinem Schiff, deiner Familie etwas zustieß«, sagte er bedächtig.
    »Aber ihr habt die Schiffbauer zur Nord geführt.«
    »Ja.« Es war das erste Mal, dass er es offen zugab. »Wir haben uns Sorgen gemacht, dass die Erlösung die Menschheit zerreißen würde. Und wir hatten Recht damit, nicht wahr?«
    »Und ich war euer Werkzeug, eure Waffe gegen die Transzendenz.«
    »Für mich warst du mehr als das«, erwiderte er hitzig.
    »Eure Manipulation war widerwärtig. Ihr habt meine Schwester bedroht, meine Familie in Gefahr gebracht…«
    »Wir hätten Drea niemals etwas zuleide getan.« Er blickte auf. »Ich glaube, auf irgendeiner Ebene wusstest du das immer, nicht wahr? Und der Vorfall mit den Schiffbauern hätte nicht so weit gehen sollen.«
    »Der Vorfall. Meine Mutter ist gestorben und mein Bruder auch. Erwartet ihr Vergebung von mir, Bale? Wollt ihr Erlösung, nach allem, was geschehen ist?«
    »Alia, bitte…«
    Sie lachte ihn aus. »Kehr auf deine Rostkugel zurück und begrab dich in den leeren Köpfen deiner
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