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Traeume, zart wie Seide

Traeume, zart wie Seide

Titel: Traeume, zart wie Seide
Autoren: Jessica Bird
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Vielleicht war es doch keine so gute Idee, diese Fahrt allzu lange auszukosten.
    „Ihr Vater hat sich heute Abend gut amüsiert“, bemerkte sie unvermittelt.
    „Ja, das stimmt.“
    „Er sah auch besser aus als vor vier Wochen, als Sie im White Caps zum Essen waren.“
    „Ja, er wird langsam wieder. Aber es war eine harte Zeit für ihn.“
    „Für Sie sicher auch. Ich habe gesehen, wie fürsorglich Sie sich heute um ihn gekümmert haben.“
    Überrascht sah er sie an, doch Joy schaute aufs Wasser.
    „Wie geht es Ihrem Bruder?“, fragte er.
    „Er musste vor zwei Wochen wieder operiert werden. Sie haben für das zertrümmerte Schienbein einen Titanstab eingesetzt, sind aber nicht sicher, ob sein Körper ihn annimmt, weil es eine Infektion gab.“
    Abwesend flocht sie die Fransen der Decke zu kleinen Zöpfen. „Er ist so tapfer. Er muss wahnsinnige Schmerzen haben, aber er beklagt sich nie. Für uns ist es allerdings trotzdem nicht leicht, denn er ist alles andere als ein einfacher Patient. Er nimmt seine Medikamente nicht regelmäßig, trinkt zu viel und spricht nicht darüber, was überhaupt passiert ist.“
    „Das tut mir sehr leid“, sagte er leise. Am liebsten hätte er ihre Hand genommen.
    „Danke.“ Zum ersten Mal, seit sie zusammen auf dem Boot waren, sah sie ihn richtig an.
    „Und um Ihre Großmutter kümmern Sie sich auch noch, oder?“, fragte er.
    „Ja.“
    „Das ist eine große Verantwortung.“
    Joy zuckte die Achseln. „Wir finden einfach, dass sie bei uns zu Hause am besten aufgehoben ist, und ich scheine eine beruhigende Wirkung auf sie zu haben. Man darf sie eben nur nie allein lassen, denn wenn sie ihre paranoiden Anfälle hat, setzt sie sich die verrücktesten Dinge in den Kopf. Seit einer Weile bekommt sie ein neues Medikament, das gut anzuschlagen scheint. Seitdem sind die Anfälle zum Glück seltener geworden. Es war immer schrecklich, sie so zu sehen.“
    „Sie sind ein guter Mensch, Joy“, sagte er rau.
    „Alex und Grand-Em gehören zu meiner Familie“, erklärte sie schlicht. „Natürlich kümmere ich mich um sie.“
    „So natürlich ist das nicht.“ Er dachte an seine Mutter, die nie zur Stelle gewesen war, wenn es ihm als Kind schlecht ging. Einmal hatte er mit einer schweren Lungenentzündung zwei Wochen auf der Intensivstation gelegen, und sie hatte ihn nur ein einziges Mal besucht. „Man kann sich glücklich schätzen, wenn man jemanden wie Sie in der Familie hat.“
    Joy senkte den Blick, und sie schwiegen wieder, doch die Stimmung kam ihm jetzt weniger angespannt vor.
    Als White Caps in Sicht kam, sagte Gray: „Es tut mir leid wegen heute Abend.“
    Sie lachte kurz. „Na, so schlimm war die Bootsfahrt nun auch wieder nicht.“
    „Nein, ich meinte die Bibliothek.“
    Er spürte, wie ihre Anspannung zurückkehrte. „Oh, das.“
    „Ich bin froh, dass Cassandra in dem Moment hereinkam“, murmelte er.
    „Ja, ich auch.“ Es klang frostig, also durfte er wohl nicht annehmen, dass sein Benehmen ihr geschmeichelt hatte.
    „Sie dürfen nicht denken, dass ich jemals eine Frau … gegen ihren Willen …“, stotterte er.
    „Keine Sorge“, erwiderte sie trocken.
    Als er am Bootssteg von White Caps festmachte, spürte er deutlich, dass sie wieder ärgerlich auf ihn war, doch er bereute die Entschuldigung nicht. Er hob das Fahrrad auf den Steg und wollte noch etwas sagen, doch sie ließ ihm keine Zeit dazu.
    „Den Rest schaffe ich selbst“, sagte sie schnell. „Danke fürs Mitnehmen.“
    Dann schob sie das Fahrrad eilig zur Wiese, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Er sah ihr nach, bis sie das Haus erreicht hatte und um die Ecke gebogen war. Am liebsten wäre er ihr nachgelaufen. Aber was dann?
    Dann hätte er sie in die Arme gezogen und geküsst, bis sie beide keine Luft mehr bekamen.
    Mach das Boot los und fahr nach Hause, Mann, ermahnte er sich selbst. Du bist ja komplett verrückt.
    Doch es dauerte noch zehn Minuten, bis er sich wirklich losreißen konnte.
    Missmutig stapfte Joy die Wiese zum Haus hinauf, das Fahrrad fest im Griff.
    Jetzt hatte er sich auch noch entschuldigt! Noch peinlicher ging es ja wohl nicht. Musste er ihr unbedingt unter die Nase reiben, dass seine offensichtliche Erregung überhaupt nichts mit ihr zu tun hatte? Natürlich war er froh gewesen, Cassandra zu sehen – und bestimmt hatte es ihn sehr gefreut, dass sie auf dem Weg ins Bett war.
    Und was war das für ein Schwachsinn, dass er Frauen nicht gegen ihrem Willen nachstieg? Das hatte
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