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Totgelesen (German Edition)

Totgelesen (German Edition)

Titel: Totgelesen (German Edition)
Autoren: Ingrid Rieger
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Jungs nach. Beide Frauen waren mit dem Rollentausch zufrieden. Margit musste keinem mehr nachjagen, und Daniela war erfreut darüber, das Jammern nicht mehr zu hören, zumindest für kurze Zeit.
    »So, meine Lieben, Schluss jetzt. Stellt euch in Zweierreihen auf! Bis zum Bus wird gesittet und ruhig gegangen! Keine Streitereien, kein Jammern und kein Davonlaufen!«
    Bevor die Gruppe die üblichen Aufstellungsstreitereien hinter sich gebracht hatte, kam Daniela mit Martin und Christoph zurück.
    Die beiden Buben stellten sich als Letzte in die Reihe und marschierten mit den anderen weiter. Martin strahlte zufrieden. Seine rechte Hand war zu einer Faust geschlossen.

Mittwoch, 24. Februar
    Beinahe zwei Jahre waren vergangen, seit Georg Hofer das Landeskriminalamt das letzte Mal betreten hatte. Damals war er am Ende, heute am Anfang eines neuen Lebensabschnittes. Erinnerungen an vergangene Zeiten überkamen ihn, als er an der Kantine vorbeiging. Hier hatte er erfahren, dass seine Frau entführt worden war. Der große Besprechungsraum, in dem man ihm mitteilte, dass die Leiche seiner Frau gefunden worden war und er wegen Befangenheit vom Fall abgezogen wurde. Der Verhörraum löste weitere schmerzhafte Erinnerungen aus. Hier hatte er hinter der Glaswand zugesehen, wie der Zeuge befragt wurde und wie er sich immer mehr in Widersprüche verstrickte. Hatte zugehört, wie der Mann zuerst meinte, seine Frau habe ein rotes Kleid getragen, um kurz darauf von einem grünen zu berichten. Zuerst war sie zu einem Mann in einen grauen VW-Transit gestiegen, dann in einen Mercedes Vito. Nach 24 Stunden - inklusive Nikotin- und Koffeinentzug - gab er zu, dass er Martina Hofer in seinen Seat Alhambra gezerrt hatte. Der Mord hatte ihm nicht gereicht; er wollte wissen, ob er genügend Selbstbeherrschung besaß, um sich der Polizei als Zeuge anzubieten.
    Am Anfang seines Krankenstandes ging Hofer mehrmals zum Polizeipsychiater. Doch der konnte ihm seine Selbstvorwürfe und Albträume nicht nehmen, also ging er nicht mehr hin. Mit der Zeit ging er nirgends mehr hin, sondern verbarrikadierte sich in seiner Wohnung und suchte Trost im Alkohol. Über ein Jahr schaffte er es - mit Hilfe des Alkohols - zu vergessen. Dank seiner Schwester, die ihn mit Lebensmitteln versorgte, musste er nur selten vor die Wohnungstür. Ein- bis zweimal pro Monat ging er in einen Laden und deckte sich mit neuem Sprit ein. An einem solchen Tag, ausnahmsweise mit halbwegs klarem Verstand, trugen ihn seine Füße zum Friedhof und zum Grab seiner Frau. Welches - im Vergleich zu den anderen ringsum - ungepflegt und armselig aussah. So zu ruhen hatte sie nicht verdient. Die nächsten Stunden verbrachte er damit, Blumen anstelle des Alkohols zu kaufen. Er pflanzte und weinte dabei seine ersten Tränen. Damals schwor er sich und ihr, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
    Das war vor vier Monaten. Seither rührte er keinen Tropfen mehr an. Der Tod seiner Frau war zwar nicht vergessen, aber mit Hilfe seiner Arbeit würde er ihn überwinden.

    ***

    Gewaltsam brachte Specht seinen Wecker zum Verstummen. Der Frust, den der gestrige Besuch seines Liebhabers Sascha ausgelöst hatte, fand im Wecker ein Ventil. Eigentlich war es nicht der Besuch und schon gar nicht der Sex, der relativ schnell folgte, sondern der vorprogrammierte und immer wiederkehrende Streit danach, den Specht langsam leid wurde. Wieso wollte Sascha nicht einsehen, dass für ihn Sex nach dem Höhepunkt vorbei war. Er hatte keine Lust auf nebeneinander einschlafen , obwohl er auf Einschlafen große Lust gehabt hätte - vor allem nach der letzten Nacht, deren Schlafmangel ihm noch immer in den Gliedern hing. Doch sein Freund war nicht gegangen, sondern jammerte Specht vor, wie verletzt er wäre und wie grausam er ihn behandeln würde. Als er dann noch hinzufügte, Specht solle seine gefühllose Seite besser an seinen Mördern ausleben als an ihm, war er aufgestanden, hatte ein Taxi gerufen und Sascha vor die Tür befördert. Das Lamentieren und Klagen verfolgte ihn noch in seinen Träumen, bis es zu einem lästigen Piepen wurde, das Spechts Nerven strapazierte und er zuschlug. Damit war der Wecker für die Ewigkeit verstummt.
    Ihm graute vor diesem Morgen. Endlose Befragungen von Familie Nußbaumers Nachbarn standen ihm bevor und um zehn Uhr sollte er zur Lagebesprechung im Landeskriminalamt erscheinen. Eigentlich könnte er bis neun Uhr schlafen, wenn er wollte. Viele Nachbarn würde er in dieser kurzen
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