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Toter Mann

Toter Mann

Titel: Toter Mann
Autoren: Ake Edwardson
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erschießen?«
    »Nein, nein. Wir machen einen kleinen Spaziergang, oder besser gesagt, eine kleine Klettertour.«
    »Wohin?«
    »Sind Sie nicht schon dort oben gewesen, Winter? Bestimmt. Sie sind doch so verdammt neugierig.«
    Winter bekam einen Schlag gegen die rechte Schulter. »Gehen Sie zum Haus.« Ein weiterer Schlag. »Gehen Sie!«
    Er ging auf das Haus zu. Richardsson hob den Kopf und versuchte, etwas zu sagen, brachte aber keinen Laut heraus. »Aufstehen!«, sagte Lejon.
    Er schlug Richardsson mit dem Kolben auf den linken Arm. »Steh auf, los!«
    Richardsson versuchte sich aufzurichten. Seine Beine bewegten sich in verschiedene Richtungen, als würde er auf einer Eisfläche stehen.
    Jetzt stand er. Winter konnte seinen Blick nicht einfangen.
    Richardsson hatte keinen Blick mehr. Gleich würde er sich in Bewegung setzen, eine Klettertour, ein kleiner Spaziergang. Dead man walking.
    Es war still, totenstill. Die Kirchenglocken waren verstummt.
    Weder vom Himmel noch vom Meer her war ein Laut zu hören. Der Wind hatte sich gelegt. Am Himmel waren keine Vögel. Kein Dröhnen eines Fischerbootes. Keine Nebelhörner. Wo waren alle? Winter lauschte. Es existierte nichts mehr. Man hatte ihn vergessen. So war das also. Am Ende wurde man vergessen.
    »Gehen wir«, sagte Lejon. Die Sonne brannte Winter in den Augen. Er ging hinter Richardsson. Richardsson drehte sich nicht um. Lejon befand sich einige Meter hinter Winter. Zweige peitschten Winter gegen die Wange. Er hatte sie nicht gesehen. Sie brannten auf der Haut, genau wie die Sonne in den Augen.
    Sie begannen hinaufzuklettern. Richardsson stolperte in einer Spalte und rutschte ab. Winter fing ihn an den Schultern auf. Sie fühlten sich dünn an, als wäre der Mann in den vergangenen Stunden abgemagert und zerbrechlich geworden. Winter fühlte sich auch total ausgeliefert. Als wäre all seine Kraft im Boden versickert. Das hatte die Angst bewirkt. Und Lejons Maschinenpistole. Einige Male hatte Winter den Kolben in seinem Rücken gespürt. Vielleicht hatte er Ademar das Leben gerettet, aber nur vorübergehend. Ademar würde sterben. Sie alle würden sterben. Diese Klettertour war ihre letzte. Winter legte eine Hand gegen die Felswand. Sie war feucht. Dieser Teil des Pfades lag sicher ständig im Schatten. Ich hätte meine Handschuhe mitnehmen sollen, dachte er. Was zum Teufel spielt das für eine Rolle. Das ist ja, als wollte ein Gefangener, der zu seiner Hinrichtung geführt wird, vermeiden, in eine Wasserpfütze zu treten, um keine nassen Füße zu bekommen.
    »Stehenbleiben!«
    Auf der Hälfte der Strecke machten sie halt. Sie waren von dichtem Dschungel umgeben.
    Richardsson drehte sich um.
    Seine Augen waren schwarz. Er ist schon tot. Wo habe ich so ein Gesicht schon einmal gesehen? Ich weiß. Ich sehe genauso aus. Nein. In diesem Moment denke ich daran, mich zur Seite zu werfen und für den Bruchteil von Sekunden für Verwirrung zu sorgen, die vielleicht schon ausreichen würde.
    Aber Lejon war zu weit entfernt. »Nicht bewegen!«
    Niemand hatte sich bewegt. »Links! Gehen Sie nach links!«
    Richardsson schaute verwirrt zwischen Winter und Lejon hin und her. Links. Es gab kein links. Winter sah nichts anderes als die dichte Wand aus Reisig, Büschen, Baumstämmen, Farn und struppigen Halmen, das vielleicht Schilfrohr aus der Zeit war, als das Meer noch bis hier herauf gereicht hatte. Nur der Tümpel war übrig geblieben. Er lag links von ihnen. Winter ahnte die matten Sonnenreflexe auf dem Wasser. Etwas blitzte auf wie ein schwarzes Auge. Vielleicht war es Einbildung. Aber sie waren auf dem Weg dorthin.
    Und er entdeckte die Öffnung im Dickicht.
    Ein Pfad. Jemand hatte Spuren hinterlassen. Es war ein frisch getretener Pfad.
    Auch Richardsson hatte ihn entdeckt. Und Lejon.
    »Da durch!« Seine Stimme klang laut und angespannt, und Winter begriff, dass auch er nicht wusste, was sie erwartete.
    Richardsson betrat den Dschungel. Das hohe Gras war zu einem schmalen Pfad niedergetrampelt. Er sah frisch aus, als hätte sich jemand in den vergangenen T agen oder Nächten hier einen Weg gebahnt. Das Gras war dabei, sich wieder aufzurichten. In ein paar Tagen würden alle Spuren wieder verschwunden sein. Auch unsere Spuren, dachte Winter. Es ist das letzte Mal, dass jemand diesen Pfad benutzt.
    Jetzt sah er die Wasseroberfläche, die wie geteert und ganz glatt war. Hier ging kein Wind. Die Vegetation um den Tümpel herum ragte meterhoch auf wie eine Mauer. Aber der
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