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Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache
Autoren: Anna Jansson
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irgendwo gesprochen, einer Art Kräutergewächs. Die hieß irgend so was wie Rosmarie.«
    Krister stand hastig auf und ging zum Bücherregal, nahm das Lexikon heraus und las laut vor: »Rosmarin, ros marinus (Meertau) Art aus der Familie der kranzblumigen Gewächse. Ein immergrüner Busch mit aromatisch-harzigem Duft. Die Blätter sind graufilzig, die Blüten blau bis violett. In der griechischen Antike war die Pflanze der Liebesgöttin Aphrodite geweiht. Ihr wurde nachgesagt, dass sie das Gedächtnis und das Lernvermögen fördert.«
    »Komm, Mayonnaise, wir fahren rauf zum Friedhof.«
    »Jetzt? Wir wissen doch gar nicht, ob sie schon tot ist. Beruhige dich mal!«
    Mit ein paar schnellen Schritten war Krister draußen beim Auto, und Mayonnaise hastete hinterher.
    »Wollen wir in die Kirche gehen? Bist du plötzlich fromm geworden?«, wunderte sich Mayonnaise, als sie den Schotterweg zur Kirche hinaufgingen. Ihm war durchaus bewusst, dass die eigenartigsten Sachen geschehen können, wenn Menschen anfangen, über den Sinn des Lebens und den Tod nachzudenken. Jonna hatte sich lauter Kristallgegenstände angeschafft und begonnen, zur Auradiagnostik zu laufen, nachdem ihre Mutter gestorben war, und sein Vater war als Witwer Mitglied der Heilsarmee geworden.
    »Ist das richtig, Krister? Ist das nicht ein bisschen voreilig?«
    Krister hörte nicht. Er ging zielstrebig über den gepflegten Rasen. Der Wind ließ weiße Kastanienblüten auf sie herabregnen. Die welken Fliederblüten rochen säuerlich.
    »Hier ist es.« Ein Grabstein, der wie ein abgehauener Baumstamm aussah.
    »Ist es nicht ein bisschen früh, sich jetzt schon einen Grabstein auszusuchen?«, fragte Mayonnaise mit wachsendem Unbehagen. Etwas stimmte nicht mit Krister. Als der sich dann über eine kleine Pflanze beugte, Blätter davon zwischen seinen Fingern zerrieb und den Duft mit tiefen Atemzügen einsog, wusste Mayonnaise, dass der Wahnsinn ihn richtig gepackt hatte. Er fasste sich an die Stirn und schüttelte den Kopf.
    »Du brauchst einen Schnaps!«
    »Nein, ich brauche ein Messer oder einen Schraubenzieher.«
    Mayonnaise grub in seinen tiefen Hosentaschen und zog einen kräftigen Nagel heraus. Er hatte von seiner Großmutter gehört, dass man jemandem, der nicht ganz richtig im Kopf ist, niemals widersprechen soll. Niemals einen Schlafwandler wecken und nie jemanden in seiner Verrücktheit stören, wenn er der Wirklichkeit entflohen ist.
    »Geht der auch?«, fragte er ängstlich.
    »Glaub schon.« Krister kratzte den gelben Schorf von dem Stein ab, ohne auf die alte Frau mit dem braunen Kopftuch, die ihn interessiert beobachtete, Rücksicht zu nehmen. Mayonnaise stieß Krister mit dem Ellbogen an. Er kam sich ertappt vor, so als ob sie etwas Unerlaubtes tun würden. Krister grüßte mit einem Nicken und machte mit seiner Arbeit weiter. Die Frau kam langsam näher, ohne den Mann, der vor dem Stein hockte, aus den Augen zu lassen.
    »Wissen Sie, wer hier liegt?«, fragte Krister. »Ich habe versucht, die Inschrift freizuschaben, aber das ist nicht so einfach.«
    »Herman Sirén. Er ist 1952 gestorben. Davon haben Sie sicher gehört. Astrid Sirén liegt auf der Nordseite zwischen den Selbstmördern und Gewalttätern. Sie hinterließen einen kleinen Sohn.«
    »Ivan Sirén?«
    »Ja, so hieß er.«
    »Hieß?«
    »Er hat sich anwerben lassen und ist im Ausland geblieben. Er starb da draußen.«
    »Das ist nicht der, der die Nerzfarm hat?«
    »Sein Großvater hat sich in seinen alten Tagen noch eine Nerzfarm zugelegt. Aber das ist einer von außerhalb, der die jetzt gekauft hat. Der ist menschenscheu, sagen die Leute. Ich weiß es nicht«, sagte die Frau und hielt sich die Hand vor den Mund. Vielleicht hatte sie schlechte Zähne.
    »Ivan Sirén, Ivan der Löwenritter, so hieß er! Na klar, so war das«, bestätigte Mayonnaise. »Weißt du davon, dass Maria mich erst Dienstag danach gefragt hat, aber da fiel es mir nicht ein. Ivan hat er geheißen. Wenn der das ist, dem die Nerzfarm gehört, können wir ja hinfahren und ein bisschen mit ihm reden, nicht?«
    Krister setzte sich ins Gras. Er musste nachdenken. Ivan Sirén und Egil Hägg. Die Jacke, die bei ihnen zu Hause gehangen hatte, Ivans Fleecejacke, die hing nicht mehr in der Diele. Das wusste er sicher. Er hatte sie zuletzt gesehen, als sie auf der Sofalehne im Wohnzimmer lag. Er hatte sich vorgenommen, sie Donnerstagmorgen auf dem Weg zur Arbeit mitzunehmen. Aber da war sie weg gewesen. Wenn Maria sie nun
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