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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition)
Autoren: Zoë Ferraris
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und es wurde nicht eine Kleinigkeit daran geändert, würden Sie mir dann glauben?«
    Miriam fühlte sich in die Enge getrieben. Sie hatte Angst, ihn zu provozieren, wenn sie etwas sagte, und sie fürchtete weitere unangenehme Unterbrechungen und vielleicht auch Zornesausbrüche, weil sie das Gefühl hatte, das ganze Flugzeug höre ihnen zu, auch wenn keiner in ihre Richtung schaute. Verdrossen dachte sie, dass Apollo Mabus, der sich doch so um die Rechte der Frauen sorgte, sie genauso wirkungsvoll zum Verstummen gebracht hatte wie irgendein verächtlicher Saudi.
    Die Wirkung des Weins war durch den Adrenalinstoß abgeklungen, und auch der ebbte jetzt ab. Mabus redete ein wenig ruhiger weiter, aber er schien es nach wie vor als seine heilige Pflicht zu betrachten, ihr klarzumachen, wie ungerecht und rückständig das Land war und wie töricht es von ihr war, das zu ertragen, noch dazu eines Mannes wegen. Sie ließ seine Stimme an sich abperlen. Sie dachte an Eric, an seine verbissene Bewunderung für die saudische Kultur, den Islam, und wie sehr diese Bewunderung in den letzten paar Monaten noch gewachsen war. Als sie nach Saudi-Arabien gekommen war, hatte sie erwartet – halb hoffend, halb bangend –, dass das geballte Erleben des Landes ihn letztendlich abstoßen würde, aber stattdessen war seine Wertschätzung nur noch stärker geworden.
    »Ich glaube, Sie irren sich«, fiel sie Mabus schließlich ins Wort.
    »Ach ja?« Er sah sie verdutzt an.
    Innerlich ging sie in die Defensive, spürte die schreckliche Verunsicherung, die man empfindet, wenn man sich in einer Diskussion aufs Glatteis gewagt hat – erst recht, wenn der Verstand vom Alkohol umnebelt ist und die sinnliche Wahrnehmung von männlichen Hormonen überflutet wird.
    »Ja«, sagte sie, noch immer unsicher, wie sie weiter argumentieren sollte, doch dann brach es einfach aus ihr heraus. »Ich bin nicht wegen meines Mannes nach Saudi-Arabien gegangen, sondern meinetwegen. Ich wollte wissen, wie andere Menschen leben. Ich wollte es verstehen.«
    »Und was haben Sie verstanden?«
    Sie sah ihn an, vielleicht zu eindringlich. »Dass ich Fanatiker hasse.« Sie griff nach ihrem Weinbecher, öffnete abrupt ihren Sicherheitsgurt und stand auf, nicht ohne dabei seinen überraschten Gesichtsausdruck zu registrieren.
    Die Stewards waren verschwunden. Es stand niemand im Gang, und die Lichter waren gedimmt worden. Miriam stolperte durch den kleinen Gebetsbereich, der für muslimische Reisende abgetrennt worden war, und schob sich in die Toilette, wo sie mit Mühe die Tür hinter sich schloss.
    Sie legte den Riegel vor, setzte sich auf den Klodeckel und vergrub das Gesicht in den Händen. Ihr Brustkorb pochte. Sie rieb sich die Stirn, bis das Schlagen nachließ.
    Sei nicht albern! Was ist denn bloß los mit dir? Der Typ ist offensichtlich ein Spinner . Als sie aufblickte, sah sie sich selbst in der Aluminiumtür – gedrungen und fade in einem grauen Rock von Penney’s, der lang genug war, um schicklich zu sein, und jetzt vorne einen leberförmigen Fleck hatte, wo sie sich irgendwie mit Wein bekleckert hatte. In ihrem verzerrten Spiegelbild sah ihr Kopf winzig aus, und die Füße wirkten übergroß. Sie sah so aus, wie sie sich fühlte – hässlich und hilflos.
    Rasch stand sie auf, ließ das Waschbecken volllaufen, spritzte sich Wasser ins Gesicht und trocknete es mit einem steifen Papierhandtuch ab. Mr Apollo. Sie wünschte, irgendwer würde ihn zum Mond schießen. Sie starrte ihre Hände an, und sosehr sie es auch versuchte, sie konnte Eric nicht fühlen. Sie konnte sich kaum noch an sein Gesicht erinnern, nur an ganz allgemeine Dinge wie seine Haarfarbe und die Form seiner Schultern.
    Der Geruch von Mabus’ Atem umschwebte sie noch immer, nur dass es jetzt der unangenehme Geruch von abgestandenem Wein war. Sie beugte sich über das Becken und spülte sich den Mund aus, wusch sich die Hände, glättete ihr Haar. Sie wusch sich wieder und wieder, weil es sie beruhigte und sie einen Grund brauchte, um noch länger zu bleiben.
    Von einem schwarzen Schleier behindert, hielt Miriam ihre Handtasche an die Brust gedrückt und trippelte den schmalen Gang zur Passkontrolle entlang, während Männer in Weiß um sie herumwuselten. Zweimal stolperte sie über den Saum ihres Umhangs, und beim zweiten Mal rempelte sie einen nichtsahnenden Mann an, der daraufhin einen leise zischenden Laut ausstieß. Sie blieb stehen. Sollten sie doch ruhig alle an ihr vorbeihasten.
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