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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition)
Autoren: Zoë Ferraris
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etwas, das praxisbezogener und interessanter war, aber in der Sicherheitsbranche hätte er überall arbeiten können. Es gefiel ihr nicht, dass er sich für Saudi-Arabien entschieden hatte, auch wenn es bloß für ein Jahr war.
    »Wie lange sind Sie schon dort?«, fragte Mabus.
    »Ein halbes Jahr.«
    »Beeindruckend«, sagte er. »Die wenigsten Frauen halten so lange durch. Westliche Frauen, meine ich – und falls doch, dann mithilfe von Drogen. Aber Sie leben ja auch vermutlich im amerikanischen Compound?«
    Miriam blickte in ihren Becher. »Nein.«
    »Tatsächlich? Das ist ungewöhnlich. Haben Sie einen zuverlässigen Fahrer?«
    Sie spitzte die Lippen und schüttelte den Kopf. Sie gerieten auf gefährliches Terrain, und sie suchte angestrengt nach einem eleganten Themenwechsel, aber ihr Gehirn war vom Alkohol benebelt.
    »Verraten Sie mir eins«, fragte er unverdrossen weiter, ohne ihr Unbehagen zur Kenntnis zu nehmen, »was machen Sie den lieben langen Tag, wenn Sie das Haus nicht verlassen dürfen, wenn Sie nicht Auto fahren, ja noch nicht mal auf ein blödes kleines Fahrrad steigen dürfen?« Er sagte das so laut, dass Miriam sich umschaute und mit empörten Blicken rechnete. Niemand schien auf sie zu achten.
    Seine Fragen hatten ein vertrautes Gefühl von Selbstmitleid und unterdrückter Wut ausgelöst, und jetzt schwitzte sie. Sie wollte nicht mehr an ihr Eingesperrtsein denken und war genervt, dass er sie darauf ansprach. Wollte er sie jammern hören? Die Genugtuung würde sie ihm nicht geben.
    Er durchbrach ihr Schweigen mit einem Lachen, eine Explosion, die ihr das Adrenalin durch die Adern jagte. »Das ist eine wunderbare Antwort«, sagte er, »anschaulicher geht’s ja wohl nicht.« Dann wurde sein Gesicht ernst. »Es ist kein Land für eine Frau.«
    Miriam nickte. Alles, was sie hätte sagen können, wäre nur Wasser auf die Mühlen seiner Kritik gewesen.
    »Die hassen Frauen«, sagte er und lehnte sich näher zu ihr hin. »Sie fürchten und sie hassen sie, und wissen Sie, warum? Weil Frauen intelligenter und biologisch besser ausgestattet sind und weil sie schon immer Macht über Männer hatten.« Sie konnte den Wein in seinem Atem riechen, vermischt mit dem frischen, holzigen Geruch seines Aftershaves; es erinnerte sie an ein Schlafzimmer, stehende Luft, den Duft eines Mannes.
    »Ein altes islamisches Sprichwort sagt«, fuhr er fort, »dass der Himmel voller Bettler ist und die Hölle bis zum Rand gefüllt mit Frauen.« Sie blickte ihn stirnrunzelnd an. »Und Sie haben das Schlimmste noch vor sich, glauben Sie mir.«
    »Wie meinen Sie das?«, fragte sie irritiert.
    »Wenn Sie an den Punkt kommen, wo Sie zurück in die Staaten wollen, und es kaum noch abwarten können, dann werden Sie feststellen, dass Ihr Mann sich in das Land verliebt hat. Ich hab das schon zigmal beobachtet. Männer lieben Saudi-Arabien ungefähr so sehr, wie ihre Frauen es hassen. Wenn Sie das Herz Ihres Mannes nicht verlieren wollen, dann erinnern Sie ihn daran, dass fromme Saudis an die ›Pflicht der Trennung‹ von Ungläubigen glauben. Danach ist es ihre Pflicht, Sie auf Abstand zu halten. Saudis glauben, der Umgang mit Ungläubigen – also mit Leuten wie Sie und ich – entferne sie tatsächlich vom Reich des Glaubens. Auch wenn sie zu Ihrem Mann gastfreundlich sind, auch wenn sie ihm Tee und Datteln anbieten, werden sie ihn niemals richtig aufnehmen, nicht in diesem Land. Die Ausländerfeindlichkeit ist hier größer als überall sonst auf der Welt. Im Koran steht: O ihr, die ihr glaubt, schließt keine Freundschaft, außer mit euresgleichen. Sie werden nicht zaudern, euch zu verderben .«
    »Ich bin sicher –«, das glaubt nicht jeder , wollte sie sagen, aber er unterbrach sie rasch, als ahnte er, dass sie Einwände erheben wollte.
    »Der Koran gilt als das Wort Gottes«, sagte er, »und alles, was darin steht, soll genau der Botschaft entsprechen, die dem Propheten Mohammed gesandt wurde. Haargenau. Obwohl er von zig verschiedenen Leuten niedergeschrieben und aus dem Aramäischen übersetzt wurde. Aber das interessiert kein Schwein. Die sind unwahrscheinlich stolz darauf, dass in ihrem heiligen Buch seit seiner Abfassung noch nicht mal ein diakritisches Zeichen geändert wurde. Wussten Sie das?«
    »Äh, ja«, log sie.
    »Und da wollen Sie ernsthaft behaupten, die sind nicht rückständig? Wenn ich Ihnen erzählen würde, die Bibel ist das Wort Gottes und sie ist noch heute haargenau so, wie Gott sie haben wollte,
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