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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition)
Autoren: Zoë Ferraris
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Abu-Yussuf erwachte ruckartig aus seinen Gedanken und erhaschte einen kurzen Blick auf den nackten Arm der Frau, der unnatürlich gebogen und dann seitlich an den Körper gelegt wurde. Eine letzte Demütigung.
    Möge Allah sie zu sich nehmen . Abu-Yussuf bückte sich, um seine Angelkiste hochzuheben, und plötzlich wurde ihm schlecht. Er schluckte schwer, sah zur Straße hinauf und marschierte energisch los, obwohl ihm alles andere als energisch zumute war. Onkel, kann ich Ihnen helfen? Der Beamte, der ihn ansprach, war ein anderer als der erste, größer und mit einem Gesicht wie eine Marmorstatue, glatt und versteinert, und er ließ ihm keine Zeit zum Widerspruch. Er nahm Abu-Yussufs Arm, und gemeinsam stiegen sie ganz langsam den Hang hinauf. Das Gehen fiel ihm leichter, als er sich Eva als Riesin vorstellte, die über Städte hinwegstapfte, als wären sie Fußmatten. Sie hätte diesen Strand mit einem Schritt überwunden. Ein Jammer, dass die Eva unserer Tage nicht ein wenig von ihrer Würde und Kraft bewahrt hatte.

2
     
    In der Ladegarage von Al-Amir Imports herrschte hektischer Lärm, der sogar das Klingeln von Nayirs Handy übertönte. Es wurden Zelte zusammengelegt und Proviantrationen verstaut, Wasser musste abgefüllt werden, und das GPS-Navigationsnetz funktionierte noch immer nicht. Während die jüngeren Brüder Amir sich gerade über die Displays an ihren Palmtops aufregten, kam ein Assistent herbeigeeilt, um Nayir darauf hinzuweisen, dass die Diener vergessen hatten, genügend Salztabletten einzupacken.
    Nayir eilte sogleich zu dem entsprechenden Range Rover, ohne sein nach wie vor munter klingelndes Handy zu bemerken, und durchsuchte den Kofferraum nach den fehlenden Tabletten. Er entdeckte Tischdecken, Servietten und Silberbesteck, zwei Kisten Zigarren, einen tragbaren DVD-Player und eine Satellitenschüssel. Nichts davon hatte er für die Fahrt genehmigt. Männer nahmen alles Mögliche mit in die Wüste, aber eine Satellitenschüssel war nun doch des Guten zu viel.
    »Nehmen Sie das Zeug da raus«, befahl er. »Sagen Sie es niemandem. Tun Sie’s einfach.«
    »Und wohin damit?«, fragte der Assistent.
    Schweiß strömte Nayir den Rücken hinunter. »Ist mir egal. Hauptsache, die Amirs merken erst nach der Abfahrt, dass es weg ist.« Er zückte ein Taschentuch und wischte sich übers Gesicht. Wie so viele Garagen der Superreichen war auch diese klimatisiert, aber das nutzte nicht viel. Die Hitze durchdrang alles. »Und schicken Sie einen Diener Salz kaufen!« Diese Männer würden ihre tägliche Dosis Salz schlucken, ob ihnen das nun passte oder nicht. Er wollte sie nicht auf Tragen wieder nach Hause bringen, halb tot vor Dehydration.
    Nayir schnappte sich eine Wasserflasche und strebte zur Tür. Hinter ihm standen majestätisch aufgereiht zwölf Land Rover, jeder einzelne auf Hochglanz poliert. Sie wurden von Mechanikern gehegt und gepflegt und von den fleißigen Händen eifriger Sklaven (zeitgemäß aus Sri Lanka und den Philippinen importiert) befüllt und beladen, umsorgt wie die Paschas früherer Tage. Und das alles für eine fünftägige Spritztour in die Wüste, nur damit sich die männlichen Vertreter einer großen und unanständig reichen Familie von Textilimporteuren später ihren Freunden und Nachbarn gegenüber damit brüsten konnten, Wildfüchse geschossen, am Lagerfeuer gegessen und überhaupt mal das »einfache Leben« am Rande der Rub al-Khali, des »Leeren Viertels«, gekostet zu haben. Ursprünglich waren zwei Wochen für die Fahrt geplant gewesen, doch ein heilloses Chaos von Terminen und Verpflichtungen – jeder Sohn der Familie Amir hatte ein eigenes Geschäft zu leiten, Geldgeber zu beglücken und Arbeiter herumzukommandieren – hatte das große Wüstenabenteuer nach und nach auf fünf Tage zusammenschmelzen lassen. Fünf . Nayir ging sie im Kopf durch: Tag eins und zwei: Hinfahrt. Tag drei: Pinkeln in der Wüste. Tag vier und fünf: Rückfahrt.
    Er erinnerte sich an die Vorbereitungen für Wüstentouren, die lange zurücklagen und mit bedeutenderen Männern in weit abgelegenere Gegenden geführt hatten. Für archäologische Ausgrabungen mit dem alten Dr. Roeghar und Abu-Tareq hatten sie Sandsäcke und lebende Tauben mitgenommen. »Wieso bringen wir Sand in die Wüste?«, hatte der damals erst achtjährige Nayir gefragt. Er hatte das Wort »Ballast« nicht verstanden und musste in dem alten Wörterbuch seines Onkels nachschlagen. Als er schließlich verstand, beschwor
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