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Totenverse (German Edition)

Totenverse (German Edition)

Titel: Totenverse (German Edition)
Autoren: Zoë Ferraris
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Meer, das im letzten Tageslicht glitzerte. Oben an der Decke war ein Sichtschutz befestigt, den sie herunterlassen konnten, falls sie noch ungestörter sein wollten.
    Der Boden war mit einer Matte ausgelegt, und sie nahmen auf Sitzkissen Platz. Der Kellner kehrte mit Wasser und den Speisekarten zurück. Katya stellte Fragen zu den verschiedenen Sorten Fisch, die im Angebot waren, und Nayir beriet sie, während seine Gedanken wieder zu den Ereignissen des Nachmittags zurückschweiften.
    Er war noch während ihrer Arbeitszeit zu ihr nach Hause gefahren. Ihr Vater hatte ihn zunächst zurückhaltend begrüßt; er schien Nayir am Gesicht abzulesen, weshalb er gekommen war. Nachdem er Nayir in den Salon geführt hatte, holte Abu eine große Kanne Tee und ein paar Datteln, setzte sich seinem Gast gegenüber und sagte: »Wie ist es Ihnen ergangen, Herr Sharqi?«
    Die förmliche Anrede hatte das anschließende Gespräch noch steifer wirken lassen. Nayir quälte sich durch eine Erörterung der Wetterlage und wurde immer angespannter, weil auf der Hand lag, dass Abu ihm die Sache nicht erleichtern würde. Schließlich, als er das Gefühl hatte, lange genug geplaudert zu haben, sagte Nayir: »Ich bin gekommen, um Sie um die Hand Ihrer Tochter zu bitten.«
    Abu lehnte sich auf dem Sofa zurück und betrachtete ihn ruhig. Nayir bemühte sich, die Fassung zu bewahren. Er stellte seine Teetasse auf den Tisch und hielt Abus Blick stand. In der lastenden Stille hatte er das Gefühl, noch mehr sagen oder wenigstens erklären zu müssen, warum er sie heiraten wollte, aber sämtliche Gründe blieben ihm im Halse stecken. Er hätte nämlich eingestehen müssen, dass er die vielen Gründe, sie zu lieben, nur deshalb kannte, weil er schon so viel Zeit mit Katya verbracht hatte, und auch wenn Abu das bestimmt längst ahnte, war Nayir nicht bereit, es zuzugeben.
    Die grässliche Stille endete, als Abu sich wieder vorbeugte: »Sie sind ein guter Muslim, Nayir. Ich denke, Sie wären meiner Tochter ein wunderbarer Ehemann.«
    Und das war’s. Überrascht und glücklich hatte Nayir durchgeatmet. Ein Blick auf Abus gestrenge Miene hatte zwar ernüchternd gewirkt, doch die Erleichterung und Freude darüber, Abus Segen zu haben, ließen ihn praktisch aus der Tür schweben. Selbst Abu schien am Ende froh zu sein und verabschiedete ihn mit einem kräftigen gratulierenden Händedruck.
    An der Tür sagte Abu noch ein Letztes: »Ich werde ihr sagen, dass Sie meinen Segen haben, aber mir wäre lieb, wenn Sie vorher mit ihr reden.«
     
    »Ja«, sagte Nayir perplex. »Sicher.« Als er ging, spürte er eine neue Furcht in sich aufsteigen. Jetzt lag die Entscheidung bei Katya. Natürlich hatte er gewusst, dass dieser Moment kommen würde. Traditionellerweise übernahmen die Eltern diese Verhandlungen. Aber Abu hatte das Ganze nun auf Nayirs Schultern abgewälzt. Falls Katya Nein sagte, dann würde sie es Nayir ins Gesicht sagen müssen. War es nur sein Stolz, der ihm diese Vorstellung so fürchterlich erscheinen ließ?
    Nayir war sich zwar nicht sicher, aber er hatte den Verdacht, dass Abu seiner Tochter zuliebe so handelte und nicht, weil er ein achtloser oder feiger Mensch war, aber was das über Katya aussagte, war ihm nicht klar.
    Diese Gedanken legten sich schwer auf ihn, sobald der Kellner gegangen war und er Katya allein gegenübersaß. Sie kam ihm heute Abend verändert vor, und er konnte sich nicht erklären, wieso. Sie verwandelte sich vor seinen Augen von der Frau, nach der er sich sehnte, in die Frau, die er vielleicht heiraten würde, die seine Ehefrau, Geliebte, Freundin werden könnte, und während sie frischen Mangosaft tranken und Dorade aßen, ertappte er sich dabei, dass er ihr Gesicht häufiger betrachtete, die Konturen intensiv studierte, als wollte er sich vergewissern, dass er sich die Veränderung nur eingebildet hatte. Sie sprachen erneut über den Fall Nawar, aber nur kurz, dann erzählte sie von den anderen Fällen, an denen sie jetzt arbeitete. Wieder einmal wurde ihm klar, wie sehr sie ihre Arbeit liebte und dass Ehe und Kinder für sie vielleicht gar kein Thema waren, doch die Frage, die seit zwei Wochen – oder, wenn er ganz ehrlich war, seit neun Monaten – in ihm brodelte, überflutete jetzt seinen Kopf. An Omran denkend, wie er über den Rand einer Düne sprang, legte er seine Gabel aus der Hand und sagte: »Katya, willst du mich heiraten?«
    Das Glas, das sie gerade hinstellen wollte, verharrte in der Luft. Sie sah ihn
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