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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
Autoren: Colin Cotterill
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Ritual in allen Einzelheiten zu schildern. Der Priester, sagte er, entnimmt den Liebenden das Herz. Dann schneidet er es auf dem Altar in kleine Stücke und vermischt diese in einem Mörser mit der heiligen Paste. Dabei skandiert er immer wieder die entsprechende Beschwörungsformel, immer wieder, bis er in eine tiefe Trance fällt. Er nimmt nichts mehr wahr, außer den Handlungen, die es zu vollziehen gilt. Auf dem Altar, demselben Altar, auf dem er die Herzen
zerkleinert hat, modelliert er aus der Paste nun einen Vogel. Einen fliegenden Vogel. Der Priester braucht kein großer Künstler zu sein. Der grobe Umriss eines Vogels genügt vollauf. Dann wird der Vogel verhüllt. Niemand darf ihn sehen oder gar berühren, damit er ein Eigenleben entwickeln und in die Ewigkeit davonfliegen kann. Dann werden die Liebenden für immer eins sein.
    »Und wie lange dauert dieser Vorgang?«, fragte Siri.
    Santiago überlegte einen Augenblick. Das sei schwer zu sagen. Wochen? Monate? Manchmal sogar Jahre. Und manchmal klappe es überhaupt nicht. Das hänge allein von der Willensstärke der Liebenden ab. Dann setzte Santiago seufzend seine Brille ab, als habe er genug gesagt. Plötzlich war er wie ausgewechselt. Er nahm die Teekiste aus der Schublade und stellte sie vor sich auf den Schreibtisch. Mit schroffer Stimme und blutunterlaufenen Augen knurrte er seine Gäste an.
    Ein Zittern schlich sich in Dtuis Stimme. »Er … er sagt, es habe ihn sehr gefreut, aber jetzt müssten wir leider gehen.« Sie fiel aus ihrer Dolmetscherrolle. »Doc, die Sache ist mir irgendwie nicht ganz geheuer. Ich finde, wir sollten schnellstens …«
    Bevor sie ihre Warnung zu Ende bringen konnte, hatte Santiago die Kiste mit der linken Hand ergriffen und schwang sie in hohem Bogen durch die Luft. Eine Wolke grauen Pulvers hüllte die drei Gäste ein. Der Geruch toter Tiere und der Gestank verdorbener Gewürze stieg ihnen in die Nase. Ein lang gedehnter, wütender Singsang drang zwischen den nikotingelben Zähnen des Kubaners hervor. Obwohl das Pulver ihnen in den Augen brannte, sahen sie, wie Santiago sich rücklings gegen die Wand presste und die Arme einem unsichtbaren Gott entgegenreckte.

    Dtui hatte eigentlich erwartet, dass ihr Hörner sprießen, ihre Haut hässliche Blasen werfen und sie ein Gefühl des Grauens überkommen würde, musste aber lediglich heftig niesen. Auch Lit nieste. Siri tauchte aus der Wolke auf. Er hielt sich Mund und Nase zu und starrte den Kubaner an, der jetzt hinter seinem Schreibtisch auf dem Boden lag.
    »Sie können ihm sagen, dass er mit diesem Unfug aufhören soll, Dtui. Es hat nicht funktioniert«, sagte Siri.
    »Aber warum nicht?«, fragte Lit, zog die Pistole aus seinem Gürtel und richtete sie auf den verwirrten Kubaner.
    »Weil es noch nie funktioniert hat«, erklärte Siri. »Unser guter Dr. Santiago ist nämlich ein Schwindler – ein Scharlatan. Er ist nur in seiner Einbildung der große Endoke-Hohepriester. Mit seinem Hokuspokus könnte er noch nicht einmal eine Flasche Lao-Bier zum Schäumen bringen.«
    »Aber das ist unmöglich. Sie haben doch selbst gesagt, die Kubaner hätten ihn ausgewiesen, weil …«
    »Weil er ihnen auf die Nerven ging und nicht etwa wegen seiner angeblichen Zauberkräfte. Sie hielten ihn schlicht für verrückt. Seine Experimente wirkten sich negativ auf seine Arbeit aus. Niemand stellt einen Chirurgen ein, und sei er noch so talentiert, der allen Ernstes glaubt, dass die bösen Geister ihm das Skalpell führen. Dtui, würden Sie ihm bitte auf die Beine helfen, bevor er Gelenkstarre bekommt?«
    Dtui half dem Doktor auf seinen Stuhl zurück. Er murmelte noch immer einen alten Hexenfluch und konnte es nicht fassen, dass seine potenziellen Opfer nach wie vor bei klarem Bewusstsein waren.
    »Ich will gar nicht leugnen, dass er die schwarze Kunst studiert hat«, fuhr Siri fort. »Im Gegenteil. Er ist vermutlich
sogar ein veritabler Experte für die Riten und Rituale von Santería und Palo Mayombe. Aber es kann sich nun einmal nicht jeder hergelaufene José zum Großmagier stilisieren, ebenso wenig wie ich mich mir nichts, dir nichts zum Mr. Universum ernennen kann. Dazu braucht es schon ein wenig mehr. Nämlich eine unmittelbare Verbindung zur Geisterwelt. Und damit kann der gute Santiago, trotz seines nicht mehr ganz jugendlichen Eifers, leider nicht dienen.«
    Da ihm Siris Worte niemand übersetzte, saß der Kubaner mit ratloser Miene an seinem Schreibtisch.
    Lit stand kopfschüttelnd
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