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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
Autoren: Colin Cotterill
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Justizministeriums und der Doktor nichts weiter als ein Angestellter. Trotzdem zitterten ihm die Hände, als er durch das hohe Tor in den gepflegten Vorgarten trat. Die Haustür stand sperrangelweit offen, und er sah Siri in der Küche hantieren. Haeng ballte die Fäuste und rief Siris Namen, war aber nicht im Mindesten auf Siris Reaktion gefasst. Der Doktor winkte ihm lächelnd zu und kam aus dem Haus getrottet,
um ihn willkommen zu heißen. Er war so höflich, so freundlich, dass Haeng sich ernsthaft fragte, ob er ihn vielleicht verwechselte. Doch Siri nahm den Richter am Arm und führte ihn hinein.
    Der Bungalow war ein Irrenhaus: Alte, Kranke, durchgedrehte Gören. Siri hatte ein tadelloses, aus öffentlichen Geldern finanziertes Eigenheim in einen Schweinestall verwandelt. Das würde er dem Wohnungsausschuss melden müssen, keine Frage, aber es gab Dringenderes zu erledigen. Siri stellte ihm seine Entourage der Reihe nach vor; Haeng nahm die Namen flüchtig zur Kenntnis und strich sie sofort wieder aus seinem Gedächtnis. Bei der erstbesten Gelegenheit lotste er Siri und Dtui auf die Veranda. Er nahm ihnen das Versprechen ab, sich bei dem morgigen Besuch von ihrer besten Seite zu zeigen, nicht zuletzt was ihre Berufskleidung betraf: der Doktor im weißen Kittel, die Schwester in frisch gestärkter weißer Tracht. Auch dürften unter keinen Umständen »Patienten« zugegen sein. Siri fragte, ob er Leichen meine, und Haeng sagte Ja, genau das meine er. Falls noch welche in der Kühlkammer lägen, müsse Siri morgen eben etwas früher kommen und sie rechtzeitig entsorgen.
    Siri konnte sich die Frage nicht verkneifen, was sie tun sollten, falls sie just zu dem Zeitpunkt, da die Delegation erwartet wurde, eine Leiche hereinbekämen, aber Haeng kümmerte es einen feuchten Dreck, was sie damit anstellten, solange in der Pathologie nur alles blitzblank und picobello sei. Sie versicherten ihm, er brauche keine Angst zu haben: Nichts Totes werde den Ruf des staatlichen Leichenschauhauses gefährden, es werde ein Tag wie kein anderer. Erleichtert trat Haeng den Heimweg an. Der einzige Makel, der das ansonsten beispielhafte Bild effizienter Ministerialarbeit
hätte beflecken können, war beseitigt. Und, Wunder über Wunder, sie hatten das leidige Thema mit keinem Wort erwähnt. Dieser Siri war vielleicht doch nicht ganz so unbelehrbar, wie er angenommen hatte. Haeng lehnte sich bequem zurück und lächelte zum ersten Mal an diesem Tag.
     
    Am nächsten Morgen um Viertel nach neun hielt der Konvoi schwarz glänzender Zil-Limousinen vor der Pathologie. Der Klinikdirektor war erschienen, um die Delegierten willkommen zu heißen. Er hatte eigens eine Rede verfasst und trug sich mit der Absicht, jedem Besucher ein Armband aus Orchideenblüten zu überreichen. Doch es herrschte eine Bullenhitze, und die Autos hatten eine Menge Staub aufgewirbelt. Die Vietnamesen wollten von den Albernheiten des Direktors nichts wissen. Sie wollten weiter nichts als den letzten sinnlosen Besuch hinter sich bringen und dann auf schnellstem Wege zum Flughafen. Sie hielten sich ohnehin schon viel zu lange in Laos auf. Sie zwängten sich am Direktor und einem Trupp applaudierender Krankenschwestern vorbei und hielten zielstrebig auf den kühlen Schatten im Eingang der Pathologie zu. Der Direktor erkannte mindestens zwei hochrangige Parteimitglieder, einen Richter und zwei Polizeigeneräle, als sie ihn beiseitedrängten. Leider hing seine Kamera noch immer über seiner Schulter, und er hatte keinen fotografischen Beweis für die ungeheure Ehre, die der Klinik hier und jetzt zuteilwurde.
    Im Vorraum nahm Dr. Siri die Delegierten in Empfang. Er trug nicht nur einen schneeweißen Laborkittel, sondern noch dazu Hemd und Krawatte. Um seinen Hals hing ein schimmerndes Stethoskop. Er trat neben den breit grinsenden
Richter Haeng und begrüßte die Vietnamesen in ihrer Muttersprache. Er brauchte keinen Dolmetscher, wie Haeng missmutig zur Kenntnis nahm. Zwar hatte der Richter einen Großteil seines Grundstudiums in Hanoi absolviert, doch sprach er mit grauenhaftem laotischen Akzent, und auch sein Wortschatz ließ stark zu wünschen übrig. Der Doktor bedauerte, den illustren Gästen keine Leichen präsentieren zu können, bat sie aber dennoch in den Sektionssaal. Der Pulk schlurfte ihm hinterdrein und stieß auf Dtui, die frisch herausgeputzt und in ihrer weißesten Tracht vor der Kühlkammer stand. Sie hatte weder Kosten noch Mühen gescheut und sich sogar
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