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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Autoren: Christine Lehmann
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Beckers Lächeln war diabolisch, dann ging es Schlag auf Schlag. » 1989 hat der russische Schachcomputer M2-11 den damaligen Schachmeister Gudkow mit einem Stromschlag getötet. Die Maschine hatte zweimal verloren. Ein technischer Defekt wurde nicht gefunden. 1985 haben sich in Thailand einige Dieselloks selbständig gemacht. Das hat sogar die Tagesschau gemeldet. Eine Ursache wurde nie gefunden. In Brighton hat eine Aufzugsmaschine den Aufzug rauf- und runterfahren lassen, obgleich sie keinen Strom hatte, denn das Haus wurde gerade abgebrochen. Man musste die Anlage zertrümmern. 1987 stellte sich ein PC , ein Amstrad 15-12 , nachts immer wieder von selber an, sogar wenn er gar keinen Strom hatte. Er produzierte Buchstaben und Wortfetzen auf seinem Bildschirm, so als ob er träumte. Man hat das über Monate gefilmt. Und dann das Dorf Canneto di Caronia auf Sizilien. Seit Januar 2004 geschehen unheimliche Dinge. Haushaltsgeräte gehen zusammen mit Sicherungskästen in Flammen auf, auch wenn der Strom abgeschaltet ist, Autos starten von allein, Autotüren lassen sich mit Fernbedienung nicht mehr öffnen, ein Bus explodiert, Handys wählen massenhaft Nummern, die es nicht gibt. Physiker der NASA geben dem Ätna die Schuld.«
    »Außerirdische wären mir lieber!«
    »Eher Unterirdische. Die NASA vertritt die Ansicht, dass vulkanische Aktivitäten bei diesem Dorf hochgeladene Ionen an die Erdoberfläche treiben, die elektrische Geräte entzünden und manipulieren könnten.«
    Ich langte nach der Erklärung wie eine Ertrinkende nach dem Strohhalm. Damals konnte ich noch schwimmen. »Aber gibt es auch Gespenster, Frau Becker? Geister von Verstorbenen, die herumspuken?«

5
    Es war schon dunkel, als ich mich die Weinsteige in den Kessel hinunter staute und die Blitzer angrinste. »Ich kann nicht schneller, sorry.«
    Die Radionachrichten beschäftigten sich mit dem Zugunglück von Hordorf auf der Eisenbahnstrecke Magdeburg-Thale, bei dem zehn Menschen ums Leben gekommen waren. Hatte der Zugführer des Güterzugs oder der des Personenzugs den Fehler gemacht, oder hatte es eine technische Fehlfunktion gegeben? Daran erinnere ich mich – die Einzelheiten habe ich gerade noch mal nachgeschaut –, vielleicht, weil mir zum ersten Mal die Formulierung »technisches Versagen« auffiel und ich über menschliches Versagen nachdachte. Wie kann Technik versagen? Was heißt überhaupt versagen? Wir sind Versager, wenn wir nicht schaffen, was wir schaffen wollen oder was andere von uns erwarten. Als Tochter habe ich versagt. Zumindest aus Sicht meiner Mutter. Ich sehe das aber so, dass ich mich befreit habe aus katholischer Höllenangst und Festlegung auf Fremdsprachensekretärin und Ehefrau.
    Eine Ampel wiederum hat versagt, wenn sie nicht Rot zeigt und Züge ineinanderdonnern. Oder ihr Steuercomputer hat versagt. Oder der Programmierer, der nicht alles bedacht hat, was Technik zum Versagen bringt. Letztlich ist alles menschliches Versagen. Schlecht gebaut, schlecht gewartet. Oder? Als ich am Charlottenplatz abbog, gingen mir die Züge durch den Kopf, die sich in Japan selbständig gemacht hatten, und der PC , der nachts träumte, obgleich er keinen Strom bekam. Kann man von technischem Versagen sprechen, wenn stillgelegte Geräte nicht stillstehen?
    Und wie hatte Rosenfelds Mörder überhaupt den Raum verlassen? Durch die Tür jedenfalls nicht. Durch die Fenster auch nicht. Denn er hätte das Eis im Wassergraben nicht betreten können, ohne Einbruchsspuren zu hinterlassen, deren Narben im Eis auch an diesem Montag noch sichtbar gewesen wären.
    Ich brachte Charlotte Brontë in ihre Garage – »Sei brav, ja. Fahr nicht weg!« –, stieg die drei Treppen zu meiner Wohnung hinauf, warf den Computer an und schaufelte die Fotos von meinem Handy.
    So ’n Hure’seich! Alles verwackelt, unscharf, verblendet, eines sogar ganz schwarz. Total vergespenstert. Auch die, die ich mit ausgestrecktem Arm durch den Türspalt ins Büro von Rosenfeld hinein gemacht hatte. Das gibt’s doch nicht! Nur ein einziges, das ich von der Leiter aus gemacht hatte, ließ immerhin Rosenfelds Beine erahnen, die unter dem Tisch hervorragten. Man erkannte die Lage der Leiche, bevor die Polizei eingetroffen war und die Tür gegen den Widerstand der Beine hatten aufschieben müssen, um hineinzukommen.
    Kalte Hände strichen mir über den Nacken. Wo war ich da hineingeraten? Ich nahm Cipión und ging raus, um nachzudenken, was in doppelter Hinsicht ein Misserfolg
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