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Totenacker

Totenacker

Titel: Totenacker
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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weitere Unterlagen vorgenommen. Schließlich stützte sie ihren Kopf in ihre Hände und sah auf die Straße hinaus.
    Konnten die beiden männlichen Toten wirklich verletzte Frontsoldaten gewesen sein, die, als am 26. September die Bomben fielen, im Klever Krankenhaus gelegen hatten?
    Aber wie passten sie dann zu den toten Frauen und Kindern? Frontsoldaten waren Helden gewesen – kein «unwertes Leben». Der Begriff ließ sie wieder schaudern.
    Vielleicht war Peters Überlegung nicht so falsch: Die beiden konnten Schanzarbeiter gewesen sein – einer von ihnen war doch Slawe gewesen, hatte Arend gesagt –, die bei einem Tieffliegerangriff verletzt worden waren. Dann hätten sie während des ersten Bombardements im Antonius-Hospital gelegen.
    Der Stadtarchivar brachte ihr einen zweiten Stapel Unterlagen über das Krankenhaus, Fotos aus der Zeit vor dem Krieg und Aufnahmen vom ausgebombten Gebäude. Penny betrachtete die Fotos, ordnete sie chronologisch und begann dann, wieder zu lesen.
    Seit das ehemalige Minoritenkloster als Krankenhaus genutzt worden war, war es immer wieder baulich erweitert worden, es hatte eine Infektionsstation gegeben, eine Wäscherei, eine Großküche. Die Krankenpflege hatte, obwohl es auch einige weltliche Angestellte gab, fest in den Händen der Nonnen gelegen, die auch als ambulante Krankenschwestern in der Stadtpflege tätig waren.
    Beim Großangriff im September hatte das Hospital mehrere Volltreffer abbekommen. Das Isolierhaus war zur Hälfte zerstört worden, das Leichenhaus völlig in Schutt und Asche gelegt. Alle Kranken konnten rechtzeitig in den Schutzkeller gebracht werden. Nach dem Angriff wurden sie in Begleitung von zehn Nonnen und ein paar weltlichen Schwestern nach Bedburg transportiert.
    «Ich muss Sie leider schon wieder stören.» Der Archivar legte ihr leise die Hand auf die Schulter. «Das hier könnte von Interesse für Sie sein. Es sind Augenzeugenberichte vom Angriff auf die Unterstadt.»
    Penny lächelte ihn an. «Danke.»
    Die Schrift auf den Kopien war blass, und sie hatte ein wenig Mühe, alles zu entziffern: Eine Nonne brachte alle Kleinen von der Kinderstation in der Bäderabteilung in Sicherheit. Nach dem Angriff fuhr sie mit ihnen in die Klinik nach Bedburg, wo man auf Säuglinge und Kleinkinder nicht eingerichtet war. Es gab keine Babynahrung, keine Windeln. Die Kinder litten, bis irgendjemand sich am nächsten Tag nach Kleve durchschlagen und das dringend Benötigte aus den Trümmern des Antonius-Hospitals holen konnte. Die Säuglingsfläschchen waren kaputt, man behalf sich mit leeren Bierflaschen und bastelte Sauger aus Gummihandschuhen.
    Die Nonnen und Angestellten verließen das Krankenhaus nach dem Angriff nicht. Sie lebten im Keller, räumten im noch intakten Teil des Gebäudes Schutt weg und schafften so Platz für die schwerverletzten Bombenopfer aus der Stadt, die gebracht wurden.
    Chefarzt Dr. Zirkel operierte unverdrossen, rettete Leben, sein Oberarzt Reiter organisierte die Bergung von Möbeln, OP-Tischen, Instrumenten, Pflegeartikeln und Medikamenten, überwachte auch den Abtransport der Kranken nach Bedburg.
    Einige Nonnen kämpften sich durch den Schutt auf den Straßen und versorgten die Leichtverletzten und Kranken in den Häusern, die noch standen, brachten Lebensmittel.
    Überall in der Stadt tobten Brände, es gab Hunderte von Verschütteten, die manchmal zwölf Stunden und länger bis zu ihrer Rettung ausharren mussten. Für einige kam jede Hilfe zu spät, sie erstickten qualvoll.
    Die Schilderungen der Krankenschwester waren so plastisch, dass Penny unwillkürlich schauderte. Sie lehnte sich zurück. Ersticken, dachte sie. Was, wenn man die Menschen, deren Skelette sie gefunden hatten, irgendwo zusammengepfercht hatte, wo sie verschüttet wurden und erstickten? Keine Spur von äußerer Gewaltanwendung. Lebensunwertes Leben …
    Sie schaute sich noch einmal die Fotos von der Unterstadt nach dem Bombenangriff an. Die Herzogbrücke hatte ein riesiges Loch, die «Neue Brücke», wie sie damals noch hieß, hing halb im Wasser, die Gebäude an ihrem Kopf waren völlig zerstört, der Opschlag ein einziger großer Bombentrichter.
    Penny schob ihre Notizen zusammen und ging hinüber zum Pult in der Ecke, wo der Archivar in einem Folianten blätterte.
    «Ich habe die Namen von zwei Ärzten gefunden, die während des Krieges im Hospital gearbeitet haben.»
    «Da haben Sie Glück gehabt», sagte er. «Alle Unterlagen des alten Krankenhauses,
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