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Tote Wasser (German Edition)

Tote Wasser (German Edition)

Titel: Tote Wasser (German Edition)
Autoren: Ann Cleeves
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sich um und ging zum Jachthafen hinunter.
    Dort war alles ruhig. Es war Abendessenszeit, im Fernsehen liefen Seifenopern, und die Kinder wurden vorm Zubettgehen gebadet. Watvögel pickten am Strand im Tang herum. An ihrer Jacht an der Anlegestelle war ein Dingi festgemacht. Die
Marie-Louise
war ihr ganzer Stolz, sie war groß genug, um schnell und weit zu segeln, doch gleichzeitig konnte Rhona sie problemlos allein lenken. Sie ließ das Dingi zu Wasser und ruderte auf die verirrte Jolle zu, wobei sie selbst diese kurze Zeit auf dem Meer am Ende des Tages genoss. Wegen des Segelns war sie auf die Shetlands gezogen. Sie war dafür geschaffen, sich auf dem Meer zu bewegen. Ein Exfreund hatte einmal gemeint, in ihren Adern fließe Salzwasser, nicht Blut.
    Es war ein Leichtes, die Jolle einzufangen. Rhona wollte ein Seil durch den Ring am Bug ziehen, um sie wieder an Land zu bringen. Sie dachte, dass sie den Abend eigentlich auch auf dem Wasser verbringen könnte. In der Bucht würde es noch etwa eine Stunde lang hell genug sein. Es ging kein Wind, weshalb sie nicht segeln konnte, doch auch wenn sie den Motor anwerfen musste, konnte sie die Ausblicke genießen, deren sie niemals müde wurde. Man konnte die Shetlands nur dann wirklich erfassen, wenn man sie vom Meer aus sah. Dann warf Rhona einen Blick in das offene Boot. Über die Sitzbänke gestreckt lag ein Mann. Er hatte blondes Haar und helle Haut, sodass seine dunklen Augen seltsam aussahen, als wäre er geschminkt. Noch bevor sie die klaffende Wunde an seinem Schädel und das getrocknete Blut an seiner Wange sah, wusste Rhona schon, dass er nicht mehr lebte; sie wusste es, noch bevor ihr klarwurde, dass er keines natürlichen Todes gestorben war.

Kapitel 4
    A ls der Anruf kam, war Sandy Wilson noch im Büro. Er erkannte die Stimme der Staatsanwältin, und sein erster Gedanke war, dass er in Schwierigkeiten steckte: dass er irgendeine Anordnung nicht genau genug befolgt hatte. Er wusste, dass sie nicht viel von ihm hielt, was ihn nicht überraschte. Er hielt selbst nicht viel von sich. Sein Chef, Jimmy Perez, war noch krankgeschrieben, tastete sich an ein paar Tagen die Woche vorsichtig ins Arbeitsleben zurück, und Sandy bekam Albträume, wenn er daran dachte, dass
er
es war, der jetzt zuweilen die Verantwortung trug.
    «Sergeant Wilson.» Auf den Shetlands sprachen sich alle mit Vornamen an. Mit Ausnahme der Staatsanwältin. Sandy wusste, dass er ihr aufmerksam zuhören sollte, doch er merkte, wie seine Gedanken abschweiften. Er reagierte nun mal nervös auf Stress, das hatte ihn schon zu seiner Zeit als Schuljunge auf Whalsay immer in Schwierigkeiten gebracht. Von seinem Bürofenster aus konnte er zum Hafen hinuntersehen. Die Fähre nach Bressay hatte gerade abgelegt, um durch die Meerenge hinüber zur Insel zu fahren. Auf dem Pier rauften sich Möwen um ein Stück Abfall.
    «Deshalb brauche ich Sie hier. Jetzt sofort. Haben Sie mich verstanden?» Rhona Laings Stimme klang schneidend. Ganz offensichtlich hatte sie von dem Ermittler eine geistesgegenwärtigere Reaktion erwartet. Sie hatte Sandy noch nie sonderlich geschätzt, weder als Mann noch als Polizeibeamten.
    «Aber sicher.»
    «Bevor Sie losfahren, müssen Sie aber noch Inverness informieren. Die müssen ein paar Leute herschicken. Die von der Mordkommission und welche von der Spurensicherung.»
    «Vor morgen früh können die aber nicht hier sein», sagte Sandy. Jetzt fühlte er sich sicherer, mit den praktischen Dingen kannte er sich aus. «Das letzte Flugzeug von Inverness ist gerade losgeflogen.»
    «Aber wir brauchen die Unterstützung von dort, Sergeant. Ich habe die Jolle an meiner Anlegestelle in Aith festgemacht. Die Leiche lasse ich am besten, wo sie ist. Für morgen ist schönes Wetter vorhergesagt, sie sollte dort also sicher sein, wenn wir sie gut abdecken. Und wir müssen den Jachthafen absperren und die Leute fernhalten. Wir brauchen auch Sichtschutzwände. Sie wissen ja, wie die Leute gaffen. Und morgen ist Samstag, da werden viele Menschen am Hafen sein.»
    «Sie werden sich nicht gerade beliebt machen, wenn Sie die Leute an einem Wochenende von ihren Booten fernhalten.» Sandy kratzte sich am Arm und dachte, dass es nichts Schöneres gab, als zu dieser Jahreszeit zum Fischen hinauszufahren. Auf dem Meer konnte man endlich spüren, dass die langen, dunklen Wintertage vorüber waren.
    «Ich will mich ja auch nicht beliebt machen!», kam die Antwort, scharf wie eine Gewehrsalve.
    «Haben Sie
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