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Tote Maedchen luegen nicht

Titel: Tote Maedchen luegen nicht
Autoren: Jay Asher Knut Krueger
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Bewegung.
    Jetzt, da Hannahs Stimme nicht mehr zu hören ist, fällt das beständige leise Rauschen, das ihre Worte auf allen Kassetten begleitet, viel mehr auf.
    Ich gebe mich ganz dem Geräusch hin, während ich die Stäbe festhalte und die Augen schließe. Der helle Mond verschwindet. Die schwankenden Baumwipfel verschwinden. Der Wind an meiner Haut, der nachlassende Schmerz meiner Finger, das Surren der Spulen im Walkman, all das erinnert mich daran, was ich an diesem vergangenen Tag gehört habe.
    Meine Atmung beruhigt sich.
    Meine verkrampften Muskeln beginnen, sich zu entspannen.
    Dann höre ich ein leises Klicken im Kopfhörer.

    Einen leisen Atem.
    Ich öffne meine Augen, blicke ins helle Mondlicht und höre Hannahs sanfte, von Wärme erfüllte Stimme.
    Danke.

EINEN TAG SPÄTER
    Ich kämpfe gegen jeden einzelnen Muskel meines Körpers, der einen Zusammenbruch regelrecht herbeisehnt. Der sich dagegen wehrt, zur Schule gehen zu müssen. Der sich bis morgen irgendwo verstecken will. Doch ist es unausweichlich, dass ich den anderen Leuten auf den Kassetten irgendwann ins Gesicht sehen werde.
    Ich erreiche die Einfahrt des Parkplatzes, an dem mich ein efeuumrankter weißer Gedenkstein mit folgender Inschrift begrüßt: GESTIFTET VOM ABSCHLUSSJAHRGANG 1993. In den letzten drei Jahren bin ich so oft an diesem Stein vorbeigegangen, doch nicht ein Mal habe ich den Parkplatz so voll erlebt wie jetzt. Was daran liegt, dass ich noch nie so spät gekommen bin.
    Bis heute.
    Aus zwei Gründen.
    Erstens habe ich vor dem Eingang des Postamts gewartet. Gewartet, bis es geöffnet wurde, damit ich einen Schuhkarton mit Kassetten aufgeben konnte. Ich habe dieselbe braune
Papiertüte benutzt und sie mit Klebeband wieder verschlossen. Einen Absender habe ich nicht angeben. Adressiert ist das Paket an Jenny Kurtz und wird ihr Leben für immer verändern.
    Zweitens hätte ich die erste Stunde bei Mr Porter. Doch während er an der Tafel oder hinter seinem Pult steht, gäbe es nur einen einzigen Ort in der Klasse, den ich immerzu anstarren müsste.
    Hannahs leeren Stuhl.
    Die Leute starren ihn jeden Tag an. Doch der heutige Tag unterscheidet sich wesentlich vom gestrigen. Also verbringe ich viel Zeit an meinem Spind und auf der Toilette oder spaziere gemächlich über die Flure.
    Ich folge dem Gehweg, der am Parkplatz entlangführt. Dann durchschneidet er eine Rasenfläche und läuft auf das Hauptgebäude mit den doppelten Glastüren zu. Es ist ein seltsames, fast bedrückendes Gefühl, die leeren Flure entlangzugehen. Jeder meiner Schritte erzeugt einen hohlen, einsamen Klang.
    Hinter einer Vitrine mit Pokalen befinden sich fünf frei stehende Reihen von Garderobenschränken, an den beiden Seiten sind Büros und Toiletten. Ich erblicke weitere Nachzügler, die eilig ihre Bücher zusammensuchen.
    Ich erreiche meinen Spind und lehne meinen Kopf gegen die kühle Metalltür. Ich konzentriere mich ganz darauf, meine Schulter- und Nackenmuskulatur zu entspannen und meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Dann drehe ich das Zahlenschloss auf die Fünf. Dann nach links bis zur Vier, dann nach rechts auf die Dreiundzwanzig.
    Wie oft habe ich hier schon gestanden und darüber nachgedacht, dass ich bei Hannah Baker ja doch keine Chance haben würde?

    Ich hatte keine Ahnung, was sie für mich empfand. Keine Ahnung, wie sie eigentlich war. Stattdessen habe ich dem Gerede der anderen geglaubt. Außerdem hatte ich Angst, was über mich geredet würde, wenn bekannt wurde, dass ich sie mochte.
    Ich drehe das Zahlenschloss noch mal hin und her, bis ich die richtige Zahlenkombination eingestellt habe.
    Fünf.
    Vier.
    Dreiundzwanzig.
    Wie oft habe ich hier nach der Party gestanden, als Hannah noch lebte, und mir gedacht, dass ich nun endgültig keine Chance mehr bei ihr hatte? Dass ich etwas Falsches gesagt oder getan hätte. Zu ängstlich, sie darauf anzusprechen. Zu ängstlich, um es erneut zu versuchen.
    Mit ihrem Tod ist diese Chance unwiederbringlich vorbei.
    Es begann alles vor ein paar Wochen, als eine Karte durch die Lüftungsschlitze meines Garderobenschranks gesteckt wurde.
    Ich frage mich, was sich jetzt in Hannahs Garderobenschrank befindet? Ist er leer? Hat der Hausmeister ihre Habe in eine Kiste gepackt und diese in einem Vorratsschrank deponiert, bis ihre Eltern sie irgendwann abholen? Oder ist ihr Garderobenschrank noch in unverändertem Zustand?
    Während ich meine Stirn weiterhin gegen das kühle Metall presse, drehe ich meinen
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