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Tote Maedchen luegen nicht

Titel: Tote Maedchen luegen nicht
Autoren: Jay Asher Knut Krueger
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Kopf gerade so weit, dass ich den nächstgelegenen Flur hinunterschauen und einen Blick durch die stets geöffneten Türen von Mr Porters Klassenzimmer werfen kann.
    Vor dieser Tür habe ich Hannah zum letzten Mal gesehen.
    Ich schließe die Augen.

    Wen werde ich heute sehen? Außer mir haben schon acht andere Schüler die Kassetten angehört. Acht Schüler, die gespannt darauf sind, welche Wirkung die Kassetten bei mir hinterlassen haben. Und im Laufe der nächsten Tage werde auch ich ihre Wirkung auf diejenigen studieren, die sie noch bekommen werden.
    In der Ferne, gedämpft durch die Wand eines Klassenzimmers, höre ich eine vertraute Stimme. Langsam öffne ich die Augen. Aber die Stimme wird nie wieder einen freundlichen Klang für mich haben.
    »Könnte das mal jemand für mich ins Sekretariat bringen?«
    Mr Porters Stimme dringt direkt an mein Ohr. Meine Schultern verkrampfen sich und ich schlage mit der Faust gegen meinen Spind.
    Ein Stuhl quietscht, gefolgt von Schritten, die das Klassenzimmer verlassen. Mit weichen Knien warte ich darauf, dass mich irgendein Mitschüler fragt, warum ich nicht bei ihnen in der Klasse bin.
    Ein Stück von mir entfernt wird die Tür eines anderen Spinds geschlossen.
    Steve Oliver marschiert aus Mr Porters Klasse und nickt mir lächelnd zu. Die Schülerin, die ihren Spind geschlossen hat, biegt in diesem Moment um die Ecke und stößt fast mit Steve zusammen.
    »Entschuldigung!«, nuschelt sie und geht weiter.
    Steve sieht ihr schweigend nach und kommt mir entgegen. »Hi, Clay!«, sagt er lachend. »Etwas spät dran, was?«
    Hinter ihm dreht sich das Mädchen um. Es ist Skye.
    Mir perlt der Schweiß über den Nacken. Unsere Blicke begegnen sich für ein paar Sekunden, ehe sie sich umdreht und ihren Weg fortsetzt.

    Steve tritt näher an mich heran, aber ich sehe ihn nicht an, sondern gebe ihm zu verstehen, dass er Platz machen soll. »Keine Zeit!«, sage ich.
    Gestern Abend im Bus war ich ziemlich einsilbig, als ich Skye getroffen habe. Ich wollte mit ihr reden, habe es zumindest versucht, aber irgendwie ist das Gespräch nicht richtig in Gang gekommen. Im Laufe der Jahre hat sie gelernt, sich die Leute auf Distanz zu halten. Alle.
    Ich trete einen Schritt zur Seite und sehe ihr nach.
    Ich würde gern etwas sagen, vielleicht ihren Namen rufen, doch meine Kehle ist wie zugeschnürt.
    Einerseits will ich es ignorieren. Will so tun, als sei ich bis zum Beginn der zweiten Stunde sehr beschäftigt.
    Doch Skye geht denselben Flur hinunter, auf dem ich Hannah vor zwei Wochen verschwinden sah. Damals ist Hannah einfach in der Menge untergetaucht und hat es vorgezogen, sich auf den Kassetten zu verabschieden. Doch Skyes Schritte sind noch zu hören, obwohl das Geräusch immer leiser wird.
    Ich hefte mich an ihre Fersen.
    Als ich an Mr Porters Klassenzimmer vorbeigehe und einen raschen Blick hineinwerfe, erkenne ich mehr als erwartet. Ich sehe Hannahs Stuhl. Seit zwei Wochen ist er leer und wird es für den Rest des Schuljahres bleiben. Mein Platz dagegen ist nur heute unbesetzt. Viele Gesichter drehen sich zu mir um. Sie erkennen mich, sehen aber nicht alles. Mr Porter blickt in eine andere Richtung, bevor auch er sich herumdreht.
    Eine Flut von Emotionen stürzt auf mich ein. Schmerz und Wut. Trauer und Mitleid. Und was ich nicht erwartet hätte: Hoffnung.
    Ich gehe weiter.

    Skyes Schritte sind jetzt wieder deutlicher zu hören. Und je näher ich ihr komme, je schneller ich gehe, desto unbeschwerter fühle ich mich. Meine Kehle entspannt sich.
    Zwei Schritte hinter ihr, sage ich ihren Namen.
    »Skye!«

Jay Asher bekam die Idee zu diesem Buch während einer Audioführung in einem Museum. Er war fasziniert von der Stimme in seinem Ohr, die ihm erklärte, was er sah. Tote Mädchen lügen nicht ist sein erster Roman und wurde in den USA zu einem sensationellen Erfolg. Der Autor lebt in Kalifornien.

 
    Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform
     
    1. Auflage 2009
    © 2007 by Jay Asher
    Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Thirteen Reasons
Why« bei Razorbill/ Penguin Young Readers Group, New York
© 2009 für die deutschsprachige Ausgabe cbt, München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Aus dem Amerikanischen von Knut Krüger
Lektorat: Ulrike Hauswaldt
Umschlagabbildung: shutterstock
Umschlaggestaltung und Fotodesign: zeichenpool, München
st · Herstellung: WM
    eISBN : 978-3-641-02564-9
     
    www.cbt-jugendbuch.de
    www.randomhouse.de
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