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Tote essen kein Fast Food

Tote essen kein Fast Food

Titel: Tote essen kein Fast Food
Autoren: Karin Baron
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Kehlkopfkrebs gestorben. Sie hat sich dasGenick gebrochen bei dem Versuch, im zarten Alter von 78 Jahren auf einen Baum in ihrem Garten zu klettern, um drei Vogeljunge vor räuberischen Elstern zu retten. Ein kleiner Vogel hat überlebt, einen hat sich die Elster geholt, wie eine vom Gekreische alarmierte Nachbarin uns erzählte. Und der dritte ruht nun zusammen mit Tante Hedi auf dem Lister Friedhof.
    Lediglich die Tapetensituation in Tante Hedis Haus hatte ich korrekt in Erinnerung. Martins und meine Lieblingstapete hing im Klo: rosagelber Blümchendruck auf dunkel olivfarbenem Grund. Und an der Wand eine Art Zeitungsständer, der vom Kreuzworträtselheft bis zu Mare , Geo Wissen und Die Vogelwelt alles beherbergte, was man an diesem Ort zur Ablenkung so braucht.
    Ich schlief oben in Tante Hedis Gästezimmer, mit einem goldgerahmten röhrenden Hirsch über meinem Bett und zwei Plakaten des Deutschen Instituts für Vogelforschung, die mich in Multicolor über aktuell bedrohte Arten sowie die Verbreitungsgebiete der Teichralle und der Pfuhlschnepfe in Norddeutschland und Skandinavien aufklärten. Vom Fenster aus hatte ich einen guten Blick auf die krüppelige Kiefer, die Tante Hedi zum Verhängnis geworden war. Eine leuchtend rote birnenförmige Gummiboje baumelte an einem der dicken unteren Äste. Genau in der richtigen Höhe, um mir und meinem Florett als Sparringspartner zu dienen. Was wohl Tante Hedi damit gemacht hatte. Geboxt?
    Papa richtete sich bei den toten Vögeln unten auf dem Sofa ein. Es wäre ihm pietätlos erschienen, sich in Tante Hedis Bett zu legen, das in der oberen Etage im schönsten und größten Zimmer des Hauses stand. Die Sonne schien dortdurch die beiden weißen Sprossenfenster und zauberte Schattenmuster auf die helle Streifentapete von den Klematisranken, die bis unter den Dachfirst geklettert waren und sich im Wind vor dem Fenster wiegten. Ein großer Schreibtisch stand vor einem der Fenster, ein weißer Korbschaukelstuhl vor dem anderen. Die Bretter der Bücherregale bogen sich unter Nachschlagewerken, Reiseführern und ornithologischen Bildbänden. Den geringsten Raum im Zimmer nahm das Bett ein. Es war kleiner als meines zu Hause. Großtante Hedi war nicht verheiratet gewesen und hatte sich wohl schon in jungen Jahren mehr für die Vogel- als für die Männerwelt interessiert, wie ein Buch auf ihrem Nachttisch bewies, das man nur noch im Antiquariat oder beim Antiktrödler findet. Wenn überhaupt.
    Daneben lehnte hinter der altmodischen Tütenlampe ein Stück windgebleichte Wurzel an der Wand, die aussah, als stamme sie eher aus einem südamerikanischen Mangrovenwald als vom Sylter Strand. Sie erinnerte an eine mitten im Angriff erstarrte Kobra und wollte nicht so richtig in die gemütliche Atmosphäre des Zimmers passen. Es sollte sich um eine Art Omen handeln für das, was kommen würde, aber das war mir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht klar.
    Wir krempelten die Ärmel hoch und machten uns an die Arbeit. Die ersten paar Tage auf Sylt verbrachten wir mit Aufräumen, Entrümpeln, Wegwerfen. Wir rissen alle Fenster auf, leerten die Aschenbecher, enteisten den Kühlschrank und versuchten, die undichte Stelle im Reet zu finden. Das Badezimmer allerdings brauchte ein Sofort-Lifting. Einheitlich nikotingelbe Wände plus nackte Glühbirne am frühenMorgen waren noch nicht mal bei Sonnenschein zu ertragen. Geschweige denn unter dem bleigrauen Himmel der ersten Tage. Wie war das? „Ein kurzer Schauer und dann scheint meist wieder die Sonne.“ Von wegen.
    Martin strich die Wände in einem sonnigen Hellblau und ich lackierte die Holzpaneele darunter in Meister-Proper-Weiß. In einem Elektroladen trieben wir neben einem neuen Staubsauger eine Art Lüster auf, den wir in der Ecke neben dem Fenster so tief hängten, dass an Tag fünf unseres sogenannten Urlaubs die Morgensonne durch die herabhängenden Glasprismen winzige Regenbogen an die Wände warf. Sie fingen an zu tanzen, sobald der Wind mit den Prismen spielte. Oder der heiße Luftstrom aus meinem Föhn.
    Ehrlich gesagt wunderte ich mich damals ein bisschen über Martins Aktionsdrang. Normalerweise ging er die Dinge nämlich lieber ruhig an. Was mich vollends hätte stutzig machen sollen, war sein Großeinkauf am Ende der ersten Woche. „Wer soll das denn alles essen? Du hast ja eingekauft wie
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