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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Autoren: Lea Nicolai
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Regieassistent die Tür des Kerkers zu.
    Als das Medium das Brett hob, erntete sie einen kräftigen Applaus. »Jemand aus dem Publikum wird mir jetzt eine Botschaft übermitteln«, rief sie und wirkte keineswegs so schüchtern, wie sie aussah. »Beiden Kandidaten werden die Augen verbunden. Wer die Botschaft zuerst entziffert, erhält den Punkt.«
    Ravenna pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Gedankenlesen. Das fehlte noch. Sie hatte davon gehört, es aber noch nie selbst gemacht. Eine Geisterbeschwörung wäre ihr wesentlich lieber gewesen. Darin hatte sie wenigstens Übung.
    Beliar näherte sich ihr mit der Augenbinde, und sie sah, wie Lucian auf seinem Platz unruhig wurde. Bei anderen Gelegenheiten hätte er den Meister aller Schwarzkünstler niemals so dicht an sie herangelassen. Doch während der Show blieb ihm keine Wahl. Alles bestens, formte sie lautlos mit den Lippen und versuchte damit ihn zu beruhigen. Dann legte ihr Beliar das Tuch über die Augen. Sie hielt die Binde mit den Fingerspitzen fest, während der Teufel die Enden an ihrem Hinterkopf verknotete. Die Assistentin verfuhr genauso mit Vadym.
    »Kannst du noch etwas sehen?«, fragte Beliar.
    Ravenna schüttelte den Kopf. Sie nahm an, dass er gerade mit der Hand vor ihrem Gesicht herumwedelte. Als sie den Kopf in seine Richtung drehte, keuchte sie. In der Dunkelheit bemerkte sie einen Umriss aus Feuer – einen Krieger mit einem Skorpionschwanz. Der Stachel bog sich über seinem Helmbusch, und er trug ein gezacktes Schwert über der Schulter. Sie fröstelte. Der Strom umspülte Beliar und zeigte ihr sein wahres Ich. Seine schwarzmagische Seele. Sie sah seine wahre Natur durch ihr drittes Auge.
    »Hast du wirklich geglaubt, ich sei gebannt? Für weitere tausend öde Jahre? Da kennst du mich aber schlecht«, hörte sie sein Flüstern an ihrem Ohr. Seine Hand schlängelte sich zwischen ihrem Haar und dem Kragen an ihren Hals. Sie zuckte zurück. Die Aufmerksamkeit des Publikums war offenbar auf das Medium gerichtet, das auf der Suche nach einem Freiwilligen war. Aber was war mit Lucian?
    »Was willst du von mir?«, zischte sie, während sie zurücktrat und versuchte, Beliars Hand loszuwerden, bevor ihr Ritter ausrastete. »Du hast Yvonne. Ist das nicht genug?«
    »O ja, deine Schwester war so freundlich, den Fluch wieder von mir zu nehmen«, raunte ihr der Teufel ins Ohr. »Eine Schwester kämpft gegen die andere – ist das nicht reizend? Allerdings ist in der Runde meiner Fürsten noch ein Platz frei. Er gehört dir, wenn du willst.«
    Ravenna ließ die Hände sinken. »Yvonne hat dich befreit? Das glaube ich nicht! Sie ist … sie war eine Wicca.«
    Beliar gluckste und strich ihr über das Schlüsselbein. »Glaub, was du willst. Jeder ist käuflich, sogar eine weiße Hexe. Spiel mein Spiel, und ich werde es dir beweisen.«
    Die Hand verschwand aus ihrem Ausschnitt. Sie stand im Dunkeln und lauschte auf Schritte, die sich entfernten. Vor allem hörte sie ihren eigenen, aufgeregten Atem.
    Spiel mein Spiel! Lucian hatte recht – das hier war längst etwas anderes als ein Fernsehquiz. In Gedanken hörte sie seine Warnung. Man kann Magie nicht mit Geld aufwiegen . Darum ging es also? Wollte Beliar ihr beweisen, dass es für jeden Menschen einen Punkt gab, an dem die Gier über das Gewissen siegte? Nur zu, denn da sollte er sich gründlich in ihr täuschen. Sie wusste genau, wozu sie ihre Gabe einsetzen durfte und wo die Grenze war. Dann runzelte sie die Stirn. Denn stand sie nicht bereits hier, um mithilfe ihrer magischen Fähigkeiten hunderttausend Euro zu gewinnen?
    Als sie den Kopf drehte, stellte sie fest, dass sie trotz der Augenbinde etwas erkennen konnte. Etliche der Anwesenden leuchteten, so wie sie es bei Beliar wahrgenommen hatte. Der Strom durchfloss die Hexen und Zauberer im Publikum und ließ ihre magische Seele leuchten. Die Unbegabten hingegen blieben unsichtbar. Sie waren eindeutig in der Überzahl – ein Heer von Schatten.
    Langsam wandte sich Ravenna an ihren Herausforderer. Vadym ähnelte einer Art Wolfsmann. Durch das dritte Auge betrachtet, sah er viel wilder und verwegener aus, als seine geschniegelte Aufmachung vermuten ließ. Das Medium dagegen strahlte golden und trug den Kopf einer Leopardin auf den Schultern und zwei große Flügel auf dem Rücken. Eine Sphynge. Alle Achtung, dachte Ravenna.
    Sie blickte auf das Zauberbrett. Die Runen glühten. Zwischen ihnen zuckte ein Zeiger hin und her. Das Medium stand
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