Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Tom Sawyers Abenteuer und Streiche

Titel: Tom Sawyers Abenteuer und Streiche
Autoren: Mark Twain
Vom Netzwerk:
dann – herrschten die Schrecken schwärzester Finsternis.
    Wie lange danach Becky zu dem dämmernden Bewußtsein kam, daß sie weinend in Toms Armen lag, hätte keines von beiden zu sagen vermocht. Sie wußten nur soviel, daß sie nach einer endlosen Zeit aus einer schlummerartigen Betäubung, aus dem erneuten, niederdrückenden Gefühl ihres Elends erwachten. Tom meinte, es könne Sonntag, vielleicht schon Montag sein. Er versuchte Becky zum Reden zu bewegen, aber der Jammer lastete zu gewaltig auf ihr, alle Hoffnung war dahin. Tom behauptete, nun müsse man sie daheim längst vermißt haben und das Nachsuchen sei jedenfalls schon in vollem Gange. Er wolle schreien, sagte er, vielleicht höre man ihn doch und folge der Spur. Er versuchte es denn auch, aber in der tiefen Finsternis klangen die fernen Echos so schauerlich, daß er es bald entsetzt sein ließ.
    Die Stunden schwanden dahin und der Hunger kam, um die armen kleinen Verlorenen aufs neue zu quälen. Ein Teil von Toms Hälfte des Kuchens war noch übrig, sie teilten den Rest und aßen. Danach schienen sie hungriger als zuvor. Dies arme bißchen Nahrung erweckte nur den Wunsch nach mehr.
    Plötzlich rief Tom:
    »Scht! Hörst du nicht was?«
    Beide hielten den Atem an und lauschten. Ein Laut drang an ihr Ohr, der wie ein schwacher Ruf aus weitester Ferne klang. Augenblicklich antwortete Tom, und Becky an der Hand führend, tastete er sich den Gang entlang, der Richtung des Tones nach. Dann lauschte er wieder atemlos. Wieder erklang der Ruf, und diesmal zweifellos ein wenig näher.
    »Sie sind's!« jubelte Tom, »sie kommen! Vorwärts, Becky – nun ist alles gut!«
    Die Freude, das Entzücken der Kinder war beinahe überwältigend. Sie kamen indes nur langsam voran, denn die Höhle war reich an Spalten im Boden, und diese mußten sie nun in der Dunkelheit doppelt meiden, Alsbald standen sie vor einer solchen und konnten nicht weiter. Die Spalte mochte nur drei Fuß, konnte aber auch hundert tief sein, wer konnte das wissen? – Jedenfalls war an kein Hinüberkommen zu denken, Tom legte sich nieder und versuchte so weit als möglich hinunterzureichen, – kein Grund zu fühlen. Sie mußten also bleiben und warten, bis die Retter erschienen. Sie lauschten – die fernen Rufe klangen augenscheinlich ferner und ferner. Einen Moment oder zwei noch, und sie erstarben gänzlich. O, diese herzbrechende Verzweiflung! Tom schrie, tobte, brüllte, bis er vollständig heiser war, ohne jeden Erfolg. Hoffnungsvoll redete er Becky zu, aber eine Ewigkeit ängstlichen Harrens schwand dahin, kein Ton war zu vernehmen.
    Die Kinder tasteten sich nach der Quelle zurück; lange, schwere Stunden schleppten sich dahin; die Verirrten schliefen ein und erwachten halb verhungert und voll Herzeleid. Tom meinte, nun müsse es wohl Dienstag sein.
    Jetzt kam ihm ein Gedanke. Ganz in der Nähe befanden sich ein paar Seitengänge. Es war immerhin noch besser, diese zu untersuchen, als das lastende Gewicht der Zeit müßig zu tragen. Er nahm eine Leine aus der Tasche, an der er einstmals seinen Drachen hatte steigen lassen, befestigte dieselbe an einen Felsvorsprung und schritt dann, indem er die Leine abwickelte, vorwärts. Becky folgte ihm. Nach ungefähr zwanzig Schritten fiel der Gang plötzlich steil ab. Tom ließ sich auf die Knie nieder, fühlte nach unten und dann so weit um die Ecke, als er bequem mit den Händen reichen konnte. Eben war er im Begriff, mit größter Anstrengung noch einmal weiter nach rechts zu tasten, als im selben Augenblick, keine zwanzig Meter entfernt, hinter einem Felsen hervor eine menschliche Hand erschien, die ein Licht hielt. Tom stieß einen lauthallenden Jubelschrei aus und alsbald folgte der Hand auch der Körper, zu dem sie gehörte, – der Körper des Indianer-Joe. Tom war wie gelähmt, er konnte kein Glied rühren. Wie erlöst von einem Banne atmete er auf, als er sah, daß der »Spanier« augenblicklich sich umwandte und schleunigst Fersengeld gab. Er konnte es kaum begreifen, daß Joe seine Stimme nicht erkannte und ihm für seine Aussage vor Gericht nicht den Garaus machte. Das Echo mußte sicherlich die Stimme unkenntlich gemacht haben, anders konnte er sich's nicht erklären. Die Furcht lähmte jede Muskel in Toms Körper. Er nahm sich bestimmt vor, zur Quelle zurückzukehren, wenn er noch Kraft genug dazu besitze, und dort zu bleiben; nichts in der Welt könne ihn bewegen, sich noch einmal der Gefahr auszusetzen, dem Indianer-Joe in die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher