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Tom Sawyers Abenteuer und Streiche

Titel: Tom Sawyers Abenteuer und Streiche
Autoren: Mark Twain
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Männern, ernsten, verständigen, im gewöhnlichen Leben blutwenig romantisch angelegten Männern. Wo sich Tom und Huck nur blicken ließen, wurden sie gefeiert, bewundert und begafft. Die Jungen konnten sich nicht erinnern, daß ihre Worte je zuvor solches Gewicht besaßen, jetzt wurde der kleinste Ausspruch ihrerseits wie ein Ausfluß höchster Weisheit bewahrt und ehrfurchtsvoll wiederholt. Alles, was sie taten, was sie redeten, erschien bemerkens- und bewundernswert, sie hatten augenscheinlich die Fähigkeit verloren, irgend etwas Alltägliches, Unbedeutendes zu sagen oder zu tun. Außerdem wurde ihre Vergangenheit durchforscht, und man fand darin die unleugbaren Spuren hervorragendster Begabung, Die Zeitung des Städtchens brachte biographische Notizen über die beiden.
    Die Witwe Douglas legte das Geld zu sechs Prozent an und der Herr Kreisrichter tat auf Tante Pollys Bitte dasselbe mit Toms Anteil. Jeder der Jungen hatte nun ein geradezu ungeheures Einkommen – einen Dollar für jeden Tag des Jahres! Das war ja gerade soviel, wie der Pastor bekam, das heißt wie er bekommen sollte, denn meistens kam nicht soviel zusammen. Ein und ein Viertel Dollar die Woche war genügend für Kost, Wohnung und Schulgeld eines Jungen in jener alten, einfachen, anspruchslosen Zeit, und man konnte ihn dafür noch kleiden und waschen obendrein.
    Der Herr Kreisrichter hatte eine sehr hohe Meinung von Tom gefaßt. Er sagte, ein gewöhnlicher Junge würde nie imstande gewesen sein, seine Tochter aus der Höhle zu befreien. Als Becky ihrem Vater einmal im strengsten Vertrauen mitteilte, wie Tom ihre Prügel in der Schule damals auf sich genommen, war dieser sichtlich gerührt. Und als sie die Lüge zu entschuldigen suchte, vermittelst welcher es dem edlen Freunde gelungen war, die Züchtigung auf seine Schultern zu wälzen, meinte der Vater enthusiastisch, das sei eine edle, eine großmütige, eine hochherzige Lüge gewesen, eine Lüge, die wert sei, in der Geschichte dicht neben Washingtons vielgerühmter Wahrheitsliebe zu glänzen. Becky kam es vor, als habe sie ihren Vater noch nie so hoch aufgerichtet und so stolz gesehen, wie bei diesen Worten. Sie lies davon und berichtete Tom haarklein, was vorgefallen.
    Herr Thatcher hoffte, Tom einmal als berühmten Rechtsgelehrten oder auch als großen Kriegsmann zu sehen. Er wolle Sorge tragen, sagte er, daß Tom Einlaß fände in die große Nationalmilitärakademie und danach in der besten Juristenschule des Landes ausgebildet werde, so daß er vollständig befähigt sei für die eine oder die andere Laufbahn, oder auch für beide.
    Huck Finn sah sich durch seinen Reichtum und die Tatsache, daß er unter dem Schutze der hochangesehenen Witwe Douglas stand, plötzlich in die gute Gesellschaft eingeführt, nein – hineingeschleppt oder vielmehr geschleudert – seine Leiden steigerten sich dadurch fast ins Unerträgliche. Die Dienstboten der Witwe hielten ihn sauber und rein, wuschen, kämmten, bürsteten ihn alltäglich und betteten ihn allnächtlich mitleidslos zwischen reine Tücher, die nicht einen einzigen kleinen Flecken oder Makel hatten, den er hätte an sein Herz drücken und als alten, teuren Bekannten begrüßen können. Er mußte mit Messer und Gabel essen, mußte Serviette, Tasse und Teller benutzen, mußte seine Aufgabe lernen, zur Kirche gehen, dabei so gewählt und anständig reden, daß ihm die Sprache ordentlich saft- und kraftlos in seinem Munde vorkam; kurz, wohin er sich wandte, engten ihn überall die Schranken und Fesseln der Zivilisation von allen Seiten ein und banden ihm Hände und Füße.
    Drei Wochen hindurch trug er sein Elend wie ein tapferer Held, dann war er plötzlich verschwunden. Achtundvierzig Stunden lang ließ die Witwe in Herzensangst überall nach ihm suchen. Jedermann nahm innigsten Anteil; man suchte hier und dort, in Höhen und Tiefen, man durchforschte den Strom nach seiner Leiche. Frühe am dritten Morgen schlich sich Tom Sawyer in aller Stille zu einem Haufen alter, leerer Fässer, die hinter dem jetzt unbenutzten, halb verfallenen Schlachthause lagen. In einem derselben entdeckte er richtig den Flüchtling, Huck hatte die Nacht dort zugebracht, hatte eben sein Frühstück, aus allerlei zusammengekripsten Kleinigkeiten bestehend, verzehrt und lag nun da und rauchte in glücklicher Behaglichkeit eine Pfeife. Er war ungewaschen, ungekämmt und in dieselben alten, malerisch an ihm hängenden Lumpen gehüllt, wie in jenen Tagen, da er noch frei
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