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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
Autoren: Qiu. Xiaolong
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sie mit ihrem Kopfsteinpflaster und den malerischen Häusern eher seinem Bild von der Stadt.
    Am Ende der Gasse entdeckte er einen einfachen Straßenimbiss mit rotlackierter Holztür und weißgetünchten Wänden. In einem der rustikalen Fenster drehte sich ein Windrad aus orangefarbenem Papier. Vor dem Lokal standen grobe Holztische und Bänke, drinnen gab es weitere Sitzplätze.
    Vielleicht lag es daran, dass er nicht zu Mittag gegessen hatte, vielleicht an der Atmosphäre des Ortes, jedenfalls verlangsamte er seinen Schritt. Abgesehen von einer weißen Katze mit schwarzem Stirnfleck, die neben der abgetretenen Schwelle döste, war er der einzige Gast.
    Neben dem Eingang stand eine Reihe bunter, mit Wasser gefüllter Plastikcontainer, in denen lebende Fische und Reisfeldaale auf ihren Verzehr warteten. Letzteres verwunderte ihn, denn Reisfeldaale wurden normalerweise nicht in Wasser gehalten.
    Chen wählte einen Tisch im Freien. In einem Bambusköcher steckten Einwegstäbchen wie in einer Blumenvase. Das Wetter war erstaunlich warm für Mai, und er wischte sich nach seinem Spaziergang die Schweißperlen von der Stirn, froh um die leichte Brise, die in Böen durch die Gasse wehte.
    Ein alter Mann kam aus der Küche im rückwärtigen Teil des Hauses geschlurft und brachte ihm eine abgegriffene Speisekarte. Offenbar war er Besitzer, Koch und Kellner in einer Person.
    »Was hätten Sie denn gern?«
    »Nur ein paar Kleinigkeiten – am besten lokale Spezialitäten«, erwiderte Chen; großen Hunger hatte er nicht. »Und ein Bier.«
    »Die ›Drei Weiß‹ sind unsere Spezialität hier«, erklärte der Alte. »Aber für einen allein dürfte der Fisch zu groß sein. Und von den weißen Krabben rate ich ab, die sind heute nicht frisch.«
    Chen hatte von seinem Ausflug nach Wuxi nur wenig im Gedächtnis behalten, aber er erinnerte sich noch genau an die Begeisterung seines Vaters für die »Drei Weiß« – weißer Fisch, weiße Krabben, aber was das dritte war, wusste er nicht mehr. Eine weitere lokale Spezialität waren die Suppenklößchen, leicht süßlich, mit viel gehacktem Ingwer, von denen seine Mutter damals ein ganzes Bambuskörbchen mit nach Hause genommen hatte.
    »Was immer Sie vorschlagen.«
    »Wie wär’s mit Wuxi-Spareribs und Lotoswurzeln mit Klebreisfüllung?«
    »Klingt gut.«
    »Dazu einheimisches Bier? Ein Taihu vielleicht?«
    »Perfekt.« Der See war für sein klares Wasser bekannt, was wiederum gute Brauerzeugnisse versprach.
    Schon nach wenigen Minuten kehrte der Alte mit einer Bierflasche und einem Schälchen gesalzener Erdnüsse zurück.
    »Der Snack geht aufs Haus. Guten Appetit. Sind Sie als Tourist hier?«
    Chen deutete nickend auf seinen Plan.
    »Dann wohnen Sie sicher im Kailun?«
    Vermutlich ein Hotel in der Nähe, das Chen nicht kannte. »Nein, im Erholungsheim für Kader. Nicht weit von hier.«
    »Oh«, bemerkte der alte Mann, bevor er sich wieder in die Küche verzog, »dafür sind Sie aber noch reichlich jung.«
    Seine Verwunderung war durchaus verständlich, denn das Erholungsheim stand normalerweise nur verdienten Kadern in entsprechend fortgeschrittenem Alter offen; Chen dagegen war eindeutig unter vierzig.
    Der Oberinspektor erwiderte nichts und zog sein Buch aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Doch anstatt es aufzuschlagen, nippte er erst einmal an seinem Bier.
    Das Leben konnte absurder sein als jede Literatur. Er hatte einen Abschluss in Englischer Literatur gemacht, war dann jedoch von der staatlichen Arbeitsvermittlung dem Shanghaier Polizeipräsidium zugewiesen worden, wo er, zum eigenen Erstaunen und dem seiner Kollegen, rasch Karriere gemacht hatte. In der Parteischule in Zhenjiang sagte man ihm eine Laufbahn voraus, die weit über den Rang eines Oberinspektors hinausging.
    Augenblicklich allerdings genoss er es, ein namenloser Tourist zu sein, der seine Ferien mit einer Flasche Bier und einem Kriminalroman verbrachte. Su Shi, einer seiner Lieblingsdichter aus der Sung-Dynastie, hatte einst beklagt, »keinen Anspruch auf ein Selbst« zu haben, doch das, so fand Chen, musste nicht immer ein Nachteil sein.
    Der alte Mann brachte die bestellten Gerichte.
    »Danke«, sagte Chen und blickte zu ihm auf. »Wie läuft das Geschäft?«
    »Könnte besser sein. Die Leute reden. Aber letztlich ist es überall dasselbe.«
    Was redeten die Leute?, fragte sich Chen. Vermutlich ging es um die schlechte Qualität der Speisen. Das war nichts Ungewöhnliches in einem Touristenort, wo die
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