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Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Tödliches Wasser: Roman (German Edition)

Titel: Tödliches Wasser: Roman (German Edition)
Autoren: Qiu. Xiaolong
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Hauptperson darin zu sein.
    Es erinnert mich an eines meiner Lieblingsgedichte. Diese Zeilen sollen Dir sagen, was ich nicht ausdrücken kann – zumindest nicht so gut. Denn Du hast Deinen, ich hab meinen Weg – wie in dem Gedicht.
     
    Ich bin eine Wolke am Firmament,
    beschatte jäh dein Wogenherz –
        sei nicht bestürzt,
        erst recht nicht entzückt –
    im Augenblick wird meine Spur vergangen sein.
     
     Du und ich sind uns begegnet auf dem schwarzen umnachteten Meer,
    du hast deinen, ich hab meinen Weg:
        du kannst dich gern erinnern,
        noch besser: du vergisst
    das Licht, das aus unserer Begegnung kam!
     
    Vielleicht kannst du mir wegen dieses Lichts, das – wie flüchtig auch immer – aus unserer Begegnung kam und über den umnachteten See leuchtete, vergeben und mir ein Freund bleiben?
    Shanshan
     
    Das Gedicht mit dem Titel »Jählings«, das sie am Ende ihres Briefes zitierte, war von Xu Zhimo, dem gefeierten modernen Dichter. Auch sie hatte sich an der Uni für Lyrik interessiert.
    Chen war selbst erstaunt, wie wenig ihn der Inhalt des Briefes überraschte. Er erklärte zumindest teilweise ihren Besuch am Abend, aber auch die plötzliche Entscheidung am darauffolgenden Morgen. Dennoch ließen ihn der rasche Wechsel der Gefühle und Ereignisse, die über sie beide hereingebrochen waren, verwirrt zurück.
    Shanshan brachte Gedanken zum Ausdruck, die auch ihn beschäftigten. Da war seine Position, in der er angeblich etwas für die Gesellschaft bewirken konnte. Allerdings strebte er eine solche Position nicht um ihrer selbst willen an. Doch wenn er ehrlich war, fühlte er durchaus die Verpflichtung, als Polizeibeamter den Leuten zumindest ein klein wenig mehr Gerechtigkeit und Sicherheit zu geben.
    War eine Begegnung mit ihr jetzt überhaupt noch sinnvoll?
    Vielleicht wäre es besser, das Bild von ihr in jenem unfertigen Gedicht zu bewahren, in der fragmentarischen Erinnerung an die Wolken, die sich in Regen verwandelten, und an den Regen, der sich in Wolken verwandelte, während der See gegen die Nacht brandete …
    Es war Zeit zu gehen, dachte er und faltete den Brief zusammen.
    In der Ferne begann eine Sirene zu schrillen, leichter Regen setzte ein.
    Dennoch blieb er an seinem Tisch sitzen, die leere Tasse vor sich, und starrte wider Willen das graue Eisengitter an.
     
    Du schwebst davon, wie eine Wolke
    über den Fluss. Unsere Leidenschaft,
    gleicht einem Weidenkätzchen nach dem Regen,
    nass liegt es am Boden.
     
    Sollte er sich so leicht geschlagen geben? Entschlossen stand er auf.
    Nein, so viel Wert maß er dieser Position oder Karriere nicht bei. Nicht, wenn es um eine Frau ging, die er liebte und die seinem Leben neuen Sinn geben konnte.
    Außerdem war er sich sicher, dass sie diesen Entschluss nicht allein deshalb gefasst hatte, weil sie Jiang mehr liebte als ihn. Sie meinte vielmehr, zu seinem Besten entschieden zu haben, zumindest durfte er das glauben. Deshalb war sie vorgestern zu ihm gekommen, und deshalb ließ sie ihn jetzt gehen …
    In diesem Augenblick öffnete sich auf der anderen Straßenseite mit lautem Scharren das graue Eisentor.
    Und da war sie; bleich, das schwarze Haar offen über dem weißen Kleid, trat sie aus der Tür des Ladens an der Ecke. Mit einer Plastiktüte voll Lebensmittel in der Hand hastete sie auf die Straße.
    Huang musste das so arrangiert haben. Wie lange hatte sie dort drüben schon gestanden? Er war sich sicher, dass sie ihn hinter dem Baum nicht hatte warten sehen. Sie hatte ebenfalls gewartet, aber nicht auf ihn.
    Jetzt schob sich ein schwarzer Kleinbus aus der Einfahrt. Kaum war er nach rechts in die Straße eingebogen, da verlangsamte er auch schon wieder und blieb in unmittelbarer Nähe des Ladens stehen. Huang stieg aus, er winkte dem Kollegen am Steuer zu, sagte etwas und ging auf das Geschäft zu.
    Als im rückwärtigen Teil des Wagens ein Fenster heruntergekurbelt wurde, stolperte Shanshan mit unsicheren Schritten darauf zu.
    Von seinem Beobachtungsposten aus konnte Chen nicht alles erkennen. Jedenfalls beugte sie sich in den Wagen; ihr Gesicht war angespannt, die Schultern leuchteten weiß vor der Fülle durchscheinender Birnenblüten …
    Den Bruchteil einer Sekunde meinte Chen, eine Filmszene zu verfolgen, gebannt und zugleich distanziert. Dann traf ihn die Erkenntnis, dass diese Frau tiefe Gefühle für Jiang hegte – einen Kämpfer für die gerechte Sache.
    Dieser Augenblick
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