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Tödlicher Ruhm

Tödlicher Ruhm

Titel: Tödlicher Ruhm
Autoren: Ben Elton
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meisten seiner Leute hätte er ebenso zweihundert sein können. Für sie war Coleridge einfach nur ein schräger Vogel. Er war Mitglied der Folio Society, war Laienprediger, besuchte jedes Jahr am Veteranentag ein Kriegerdenkmal. Und er pflanzte Samen in die Erde, wenn er Pflanzen haben wollte, statt sie fix und fertig im Gartencenter zu kaufen.
    Der Umstand, dass Coleridge die Aufgabe zugefallen war, das gesamte verfügbare Material von Hausarrest zu prüfen, dazusitzen und einem Haufen nutzloser Twens zuzusehen, die gemeinsam ein Haus bewohnten und unter fortwährender Videoüberwachung standen, war in Wahrheit ein grausamer Scherz. Mit einiger Gewissheit ließ sich behaupten, dass es unter normalen Umständen wohl keine andere Sendung in der gesamten Fernsehgeschichte gab, für die sich Coleridge weniger interessierte als für Hausarrest. Coleridge nahm seinen Porzellanbecher, auf den er nicht verzichten wollte, auch wenn man ihn abwaschen musste. »Wenn ich Ihre Meinung zu Lokführern oder sonst irgendeinem Thema hören will, Hooper, werde ich es Sie wissen lassen.«
    »Stets zu Diensten, Sir.«
    Coleridge wusste, dass der Sergeant Recht hatte. Wer konnte der heutigen Jugend ihren Mangel an schlichtem, vernünftigem Ehrgeiz zum Vorwurf machen? In den Zeiten, als kleine Jungs Lokführer werden wollten, wenn sie groß waren, wünschten sie sich, Herr über eine gigantische Maschine zu sein. Ein großartiges, schnaufendes, stampfendes, knurrendes, lebendiges Untier, ein Monstrum aus Metall, das sich nur mit Mut und Geschick beherrschen und mit Sorgfalt und Verständnis pflegen ließ. Heutzutage dagegen war die Technologie derart komplex, dass — von Bill Gates und Stephen Hawking abgesehen — niemand mehr wusste, wie irgendetwas funktionierte. Die menschliche Rasse war neben der Spur, um einen Ausdruck zu verwenden, den Hooper oft benutzte. Kein Wunder, dass die jungen Leute nur noch ins Fernsehen wollten. Was sollten sie auch sonst tun? Müde starrte er die riesigen Stapel von Videobändern und Computerdisketten an, die beinahe den ganzen Raum füllten.
    »Tja, dann fangen wir also wieder von vorn an, ja? Betrachten wir die Sache der Reihe nach.« Er nahm eine Kassette mit der Aufschrift »Erste Sendung« und schob sie ins Gerät.
    Ein Haus. Zehn Kandidaten. Dreißig Kameras. Vierzig Mikrofone. Nur einer überlebt.
    Die Worte stanzten sich auf den Bildschirm wie Fäuste, die einem ins Gesicht schlugen.
    Wilde, zornige Rockmusik untermalte Post-Punk-Grafik und körnige Bilder.
    Eine rotierende Hothead-Kamera.
    Ein Stacheldrahtzaun.
    Ein knurrender Wachhund.
    Ein Mädchen mit dem Rücken zur Kamera rückt ihren BH zurecht.
    Eine Nahaufnahme von einem Mund, der schreit, wutverzerrt.
    Noch mehr Gitarrenlärm. Noch mehr zackige Grafik.
    Niemand konnte sich das ansehen und noch irgendeinen Zweifel daran hegen, dass es sich hier um Fernsehen von den Flippen für die Hippen handelte. Die Botschaft war klar: Langweiler, such dir deine Unterhaltung woanders, aber wenn du jung bist, ein bisschen durchgeknallt und voll gut drauf, dann ist das deine Show.
    Neun Wochen. Keine Ausflüchte. Kein Entkommen.
    Hausarrest.
    Ein letzter Schwall abstürzender, rückkoppelnder Gitarren, und der Vorspann war zu Ende. Einen allerletzten Augenblick lang war das Peeping-Tom-Haus leer und alles ruhig. Ein weitläufiger, heller, freundlicher Bau mit großzügigem, gefliestem Wohnbereich, freundlichen Schlafzimmern, Waschräumen samt Duschen aus rostfreiem Stahl und einem Swimmingpool im Garten.
    Die Haustür ging auf, und zehn junge Leute strömten herein, verteilten sich über den großen, offenen Wohnbereich. Zehn Leute, die sich — wie die Werbung der Nation im Vorfeld versichert hatte — nie zuvor begegnet waren.
    Sie johlten, sie kreischten, sie umarmten einander, sie sagten »Geil!«, immer und immer wieder. Manche gingen in die Schlafzimmer und hüpften auf den Betten herum, andere machten Klimmzüge an den Türrahmen, der eine oder andere hielt sich etwas zurück und sah zu, aber alle schienen der Ansicht zu sein, dass gerade eben das größte Abenteuer ihres Lebens begonnen hatte und sie dieses kaum mit einer geileren Mannschaft erleben konnten.
    Nachdem deutlich geworden war, dass sich die Zuschauer in Gesellschaft echter Partylöwen befanden, machte sich die Kamera daran, die einzelnen Bewohner vorzustellen. Als Erstes kam ein unglaublich gut aussehender junger Mann mit sanften Hundeaugen, jungenhaften Zügen und schulterlangem
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