Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)

Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)

Titel: Tödlicher Ausweg: Thriller (German Edition)
Autoren: Marcia Clark
Vom Netzwerk:
ja, Henkel durchgeschnitten, und dann nichts wie weg mit der Handtasche.«
    Ich nickte.
    Meine Miene musste meine Skepsis verraten, denn Stoner sagte: »Ich weiß, was Sie denken. Das sieht nach Notwehr aus. Ehrlich gesagt hätte ich die Sache bereitwillig als Totschlag durchgehen lassen, wenn der Angeklagte denn behauptet hätte, der Typ habe ihn bedroht.«
    »Der Angeklagte hat nicht gesagt, dass er angegriffen wurde?«, fragte ich.
    »Nein. Er behauptet, er sei gar nicht dabei gewesen, als das Opfer erstochen wurde.«
    Klassischer Fall. Normalerweise bekam man Verdächtige nicht an den Wickel, indem man ihnen ein Geständnis abrang. Man bekam sie an den Wickel, indem man ihnen eine Falschaussage nachwies. Wenn sie zum Beispiel behaupteten, nie in dem Haus gewesen zu sein, in dem man überall ihre Fingerabdrücke gefunden hatte.
    »Ihr Augenzeuge hat Sie allerdings gründlich im Stich gelassen«, stellte ich fest.
    »Unser Augenzeuge ist ein wenig wankelmütig«, gab er zu.
    Ich nickte. Wenn aber der einzige Augenzeuge wankelmütig war – und nach allem, was ich erlebt hatte, schien das Wort zuzutreffen –, dann hatten wir nicht mehr viel in der Hand.
    Wieder las Stoner meine Gedanken. »Nun, ich bin mir absolut bewusst, dass wir erst am Anfang stehen«, sagte er. »Geben Sie mir nur ein bisschen Zeit, etwas zu finden.«
    »Und wenn Sie nichts finden?«
    »Dann bin ich der Erste, der die Sache in den Wind schreibt.«
    Das sagten sie immer. Vielleicht gehörte Stoner-ohne-Vornamen aber zu den wenigen, die es auch so meinten.
    Und wenn ich den Fall nicht sofort wieder aufrollen würde, dann würde er in der Versenkung verschwinden. Ein Opfer mit einem Teppichmesser in der Tasche machte keinen guten Eindruck, aber weder der Angeklagte noch sonst irgendjemand hatte behauptet, das Opfer habe ihn angegriffen. Für mich sah das nicht nach Totschlag in Notwehr aus. Wenn das jedoch stimmte, dann war unser Obdachloser ein Mordopfer. Viel wusste ich nicht über den Fall, aber eines wusste ich genau: Der Mann hatte es nicht verdient, einsam und namenlos auf dem schmutzigen Asphalt zu sterben.
    »Ich geh dann mal den Papierkram erledigen«, sagte ich.
    »Und ich geh dann mal sicherstellen, dass der Angeklagte eingelocht bleibt.« Stoner drehte sich um und machte sich auf den Weg. Dann blieb er noch einmal stehen. »Wenn der Staatsanwalt wegen der Sache eben Theater macht, werde ich den Fall vielleicht verlieren. Danke also … falls ich später keine Gelegenheit mehr dazu habe.«
    »Stets zu Diensten«, sagte ich. »Außerdem muss ich mich ebenfalls bedanken. Im Namen aller, die Sie nicht in Aktion erleben durften.« Vermutlich gab es nicht viele, die bei Stoners Attacke auf Brandon nicht in Jubel ausgebrochen wären.
    Der Polizist nickte.

5
    E s dauerte beinahe den gesamten Vormittag, bis sich Sabrina von der Schönheit, nach der sich alle umdrehten, in eine unscheinbare Funktionärin verwandelt hatte. Niemand beachtete die Frau in dem biederen braunen Hosenanzug, die ihr mattes Haar am Hinterkopf zu einem Knoten zusammengesteckt hatte. Unsicher ging sie zwischen den Gästen mit den Cocktails in der Hand umher, zwinkerte unentwegt mit den Augen und schob nervös ihre Brille hoch. Diese verschreckte graue Maus war eine so blasse Erscheinung, dass selbst die Sicherheitsleute am Eingang nur einen flüchtigen Blick auf ihre Einladung geworfen hatten.
    Nicht dass die anderen im Raum allzu viel Glanz verströmten. Es war ein ziemlich maßvolles Ambiente: Perlen und geschmackvolle kleine Diamanten, Marineblau und Schwarz, Pumps und Budapester Schuhe. Aber ein einziges Wort von einem dieser Männer hier – und auch von einigen der Frauen – konnte die Wall Street erschüttern und am NASDAQ rütteln. Das hatten sie in der Tat auch schon getan.
    Sabrina war ohne Begleitung gekommen, aber sie war nicht allein. Hin und wieder neigte sie den Kopf und schenkte einem Mann oder einer Frau ein verhaltenes Lächeln. Freunde waren es nicht, sondern sie arbeiteten alle für Sabrina. Die schritt von einer Gruppe zur nächsten und musterte jede einzelne Person im Raum eindringlich und streng. Ihr Blick hätte Unmut hervorgerufen, hätte sie ihn nicht gut versteckt hinter der Maske der Frau, die nervös an ihrem Drink nippte – als Wodka getarntes Wasser – und an ihrer Brille herumfummelte. Niemand konnte so gut beobachten wie Sabrina. Das war eine ihrer Begabungen, die sie in dem, was sie tat, die Beste sein ließen. Mit der Geduld eines
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher